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Der magische Pflug

Der magische Pflug

Titel: Der magische Pflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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Wanderprediger – aus Schottland, wie er sagte. Sie hatte ihn kaum beachtet, so sehr war sie in Gedanken mit der Rückkehr Alvins beschäftigt gewesen. Doch nun galt es, ihn in sein Zimmer zurückzuschicken, so schnell wie möglich, und sie wußte eine sichere Methode, um das zu erreichen. Sie legte ihm die Hände auf die Schultern und zog ihn zu sich herab, so daß sie ihm einen Kuß auf die Lippen geben konnte. Einen richtigen, langen Kuß, wie er ihn noch nie von einer Frau bekommen hatte.
    Wie erwartet war er schon fast wieder in sein Zimmer zurückgestürzt, bevor sie ihn losgelassen hatte. Darüber hätte sie lachen können, doch sie wußte von seinem Herzensfeuer, daß es nicht ihr Kuß gewesen war, der ihn sich hatte zurückziehen lassen. Es war vielmehr der Kasten gewesen, den sie noch immer in einer Hand hielt, den sie in seinen Nacken gedrückt hatte, als sie ihn hielt. Der Kasten mit Alvins Mutterkuchen.
    Als er ihn berührt hatte, hatte er gespürt, was sich darin befand. Das war keine Gabe seinerseits – das war etwas anderes. Es war Alvins Nähe gewesen, Peggy sah, wie die Vision von Alvins Gesicht vor dem geistigen Auge des Mannes entstand, mit solcher Furcht und solchem Haß verbunden, wie sie sie noch nie geschaut hatte. Erst jetzt erkannte sie, daß er kein gewöhnlicher Geistlicher war. Er war Reverend Philadelphia Thrower, der einstmals in Vigor Church Prediger gewesen war. Reverend Thrower, der einmal versucht hatte, den Jungen umzubringen. Doch Alvins Pa hatte ihn daran gehindert.
    Verglichen mit seiner Angst vor Alvin Junior, war seine Furcht vor dem Kuß einer Frau belanglos. Das Problem war nur, daß er jetzt eine solche Angst hatte, daß er bereits daran dachte, sofort aufzubrechen und diesen Gasthof zu verlassen. Und falls er das tun sollte, würde er unten vorbei müssen und alles zu sehen bekommen – genau das, was Peggy abwenden wollte. So war es oft: Sie versuchte, etwas Schlimmeres zu verhindern, worauf es nur noch schlimmer wurde. Zu etwas so Unwahrscheinlichem, daß sie es nicht vorhersehen konnte. Warum hatte sie nicht erkannt, wer dieser Mann war? Sie hatte ihn doch die ganze Jahre über so viele Male durch Alvins Augen gesehen! Doch im letzten Jahr hatte er sich verändert. Er sah dünn und gehetzt und gealtert aus. Außerdem hatte sie ihn hier nicht erwartet. Und im übrigen war es jetzt ohnehin zu spät, um ungeschehen zu machen, was sie getan hatte. Jetzt galt es nur noch, ihn dazu zu bewegen, sein Zimmer nicht mehr zu verlassen.
    Also öffnete sie seine Tür und folgte ihm hinein, sah ihm fest ins Gesicht und sagte: »Er wurde hier geboren.«
    »Wer?« fragte er. Sein Gesicht war so bleich, als hätte er soeben den Teufel persönlich erblickt. Er wußte, wen sie meinte.
    »Und er kommt zurück. Er ist schon unterwegs. Ihr seid nur dann in Sicherheit, wenn Ihr heute nacht auf Eurem Zimmer bleibt und im Morgengrauen aufbrecht.«
    »Ich weiß nicht … weiß nicht, wovon Ihr redet.«
    Glaubte er wirklich, er könnte eine Fackel täuschen? Vielleicht wußte er ja nicht, daß sie eine … Nein, er wußte es, er wußte es genau. Nur glaubte er nicht an Fackeln und Zauber und Gaben und ähnliche Dinge. Er war ein Mann der Wissenschaft und der höheren Religion. Ein gottverdammter Narr.
    Also mußte sie ihm beweisen, daß das, was er am meisten fürchtete, Wirklichkeit war. Sie kannte ihn und seine Geheimnisse. »Ihr habt versucht, Alvin Junior mit einem Schlachtermesser zu töten«, sagte sie.
    Das saß. Er fiel auf die Knie. »Ich fürchte mich nicht vor dem Tod«, sagte er.
    Dann begann er, das Vaterunser zu beten.
    »Ihr könnt die ganze Nacht beten, wenn Ihr wollt«, sagte sie, »aber bleibt auf Eurem Zimmer.«
    Dann trat sie hinaus und schloß die Tür hinter sich. Sie war die Treppe zur Hälfte hinabgestiegen, als sie hörte, wie die Tür von innen mit einem Balken verriegelt wurde. Peggy hatte nicht einmal Zeit, darüber nachzudenken, ob sie ihm unnötigen Schmerz zugefügt hatte – denn im Grunde seines Herzens war er kein wirklicher Mörder. Doch im Augenblick war nur eins wichtig: Den Mutterkuchen zu dem Mädchen zu bringen und ihr zu helfen, sofern Alvins Macht tatsächlich wirksam war.
    Wieviel Zeit dieser Geistliche sie doch gekostet hatte. Und so viele kostbare Atemzüge des Sklavenmädchens.
    Sie atmete doch noch, nicht wahr? Ja. Nein. Das Baby lag schlafend neben ihr, doch ihre Brust hob nicht einmal mehr den kleinen Jungen hoch, ihre Lippen hauchten nicht einmal

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