Der magische Pflug
mehr den Atemzug eines Babys gegen Peggys Handrücken. Aber ihr Herzensfeuer brannte noch immer! Das konnte Peggy klar erkennen. Es brannte noch, weil dieses Sklavenmädchen so entschlossen war. Also öffnete Peggy den Kasten, holte den Fetzen Mutterkuchen heraus und rieb eine trockene Ecke davon zwischen den Fingern zu Staub, wobei sie murmelte: »Lebe, werde stark.« Sie versuchte zu tun, was Alvin tat, wenn er heilte, wenn er die kleinen, geschädigten Stellen im Körper eines Menschen erspürte und richtete. Hatte sie ihn dabei nicht schon so häufig beobachtet? Aber es war etwas anderes, dies selbst zu tun. Es war ihr fremd, sie besaß nicht die dazugehörige Sehfähigkeit, und sie spürte, wie das Leben aus dem Leib des Mädchens entwich, wie das Herz stehenblieb, die Lungen erschlafften; die Augen waren geöffnet, aber ohne Licht. Und schließlich spürte sie, wie das Herzensfeuer aufblitzte wie eine Sternschnuppe, ganz plötzlich und hell, und wie es schließlich verschwand.
Zu spät. Wenn ich oben auf der Treppe nicht stehengeblieben wäre, wenn ich mich nicht um diesen Geistlichen hätte kümmern müssen …
Aber nein, nein, sie konnte sich deswegen keine Vorwürfe machen. Es lag ohnehin nicht in ihrer Macht, es war schon zu spät gewesen, bevor sie überhaupt angefangen hatte. Das Mädchen hatte im Sterben gelegen. Selbst Alvin hätte, wäre er hier gewesen, nichts dagegen ausrichten können. Es war ohnehin nicht mehr als eine schwache Hoffnung gewesen. Nicht einmal Hoffnung genug, um auch nur einen einzigen Weg zu schauen, auf dem es hätte gelingen können. Daher würde sie nicht tun, was so viele andere taten: Sie würde sich keine endlosen Vorwürfe machen, wo sie doch ihr Bestes gegeben hatte, um eine Aufgabe zu bewältigen, bei der von Anfang an nur wenig Hoffnung auf Erfolg bestand.
Nun, da das Mädchen tot war, durfte sie das Baby nicht da liegen lassen. Sie mußte verhindern, daß es spürte, wie der Arm seiner Mutter erkaltete. Sie nahm den Jungen auf. Er bewegte sich, schlief aber weiter. Deine Mama ist tot, kleiner halb-weißer Junge, aber du wirst meine Mama und meinen Papa haben. Sie haben genug Liebe für ein Kleines. Du wirst nicht an Liebesmangel verhungern wie so manche Kinder, die ich schon gesehen habe. Deine Mutter ist gestorben, um dich hierher zu bringen – wenn du das beste daraus machst, dann wird aus dir schon etwas werden.
Aus dir wird etwas werden, hörte sie sich flüstern. Aus dir wird etwas werden, und auch aus mir.
Sie traf ihre Entscheidung, noch bevor sie überhaupt bemerkt hatte, daß es eine Entscheidung zu treffen galt. Sie spürte, wie ihre eigene Zukunft sich veränderte, obwohl sie nicht richtig erkennen konnte, wie sie sich nun entwickeln würde.
Dieses Sklavenmädchen hatte die wahrscheinlichste Zukunft erraten – man brauchte keine Fackel zu sein, um manche Dinge klar und deutlich zu erkennen. Vor ihr hatte ein häßliches Leben gelegen, eines, in dem sie ihr Baby verloren und bis zu jenem Tag als Sklavin weitergelebt hätte, da sie gestorben wäre. Doch hatte sie einen winzigen, schwachen Hoffnungsschimmer für ihr Baby gesehen. Und als dies geschah, da hatte sie nicht gezögert, zu handeln, o nein. Denn dieser Hoffnungsschimmer war es ihr wert gewesen, mit ihrem Leben dafür zu bezahlen.
Und nun sieh sich einer mich an! dachte Peggy. Da schaue ich die Wege von Alvins Leben und sehe Leid für mich – nicht annähernd so schlimmes Leid wie das dieses Sklavenmädchens, aber schlimm genug. Ab und zu schimmert die Möglichkeit des Glücks leuchtend auf, irgendein seltsamer und gewundener Weg, um Alvin zu bekommen und auch von ihm geliebt zu werden. Soll ich denn jetzt, nachdem ich ihn geschaut habe, die Hände in den Schoß legen und zusehen, wie diese strahlende Hoffnung stirbt, nur weil ich mir nicht sicher bin, wie ich sie erlangen kann?
Wenn dieses geprügelte, geschundene Kind sich seine eigene Hoffnungen aus Wachs und Asche und Federn und einem Stück von sich selbst kneten kann, dann kann ich auch mein eigenes Leben formen. Irgendwo gibt es einen Faden, den ich nur zu ergreifen brauche, dann wird er mich zum Glück führen. Und selbst wenn ich diesen einen, besonderen Faden niemals finden sollte, wird das immer noch besser sein als die Verzweiflung, die mich erwartet, wenn ich untätig bleibe. Selbst wenn ich niemals ein Teil von Alvins Leben werden sollte, wenn er erst einmal ein Mann geworden ist, nun, dann ist dieser Preis immer noch nicht so
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