Der magische Pflug
dazu, was er damit tun sollte. Und sie war dazu geboren, daran teilzuhaben. Wie leicht schlüpfte sie in die Träume hinein, die sie von Alvin hatte! Aber warum auch nicht? Ihre Träume von Alvin waren wahre Visionen der Zukunft, so kurz sie auch waren, so schwer zu finden sie auch sein mochten. Und die größte Freude und der größte Schmerz, den sie selbst erfahren würde, hingen mit diesem Jungen zusammen, der noch nicht einmal ein Mann war, den sie noch nicht einmal von Angesicht zu Angesicht gesehen hatte.
Doch als sie so neben Doktor Whitley Physicker auf dem Wagen saß, vertrieb sie ihre Gedanken und Visionen. Was kommen wird, wird kommen, dachte sie. Wenn ich den Weg finde, dann ist es gut, und wenn nicht, dann eben nicht. Wenigstens bin ich für den Augenblick frei. Frei von meiner Wache über die Stadt Hatrack, und frei davon, alle meine Pläne nur um diesen kleinen Jungen herum schmieden zu können. Und was ist, wenn ich irgendwann für immer von ihm frei wäre? Was, wenn ich eine andere Zukunft fände, in der er nicht vorkommt? Das ist das wahrscheinlichste Ende der Dinge. Wenn ich nur genug Zeit habe, werde ich sogar diesen Fetzen eines Traumes vergessen, den ich einmal geträumt habe, und ich werde meinen eigenen, guten Weg finden, der mir ein friedvolles Ende beschert, anstatt mich an Alvins beschwerlichen, verworrenen Weg anpassen zu müssen.
Die tänzelnden Pferde zogen den Wagen so schnell dahin, daß der Fahrtwind in ihrem Haar zauste. Sie schloß die Augen und stellte sich vor, sie würde fliegen, eine Entflogene, die gerade lernte, frei zu sein.
Soll er seinen Weg zur Größe doch ohne mich finden. Dann kann ich ein glückliches Leben führen, fern von ihm. Soll doch eine andere Frau ihn in seinem Ruhm begleiten. Soll doch eine andere Frau kniend an seinem Grab weinen.
3. Lügen
Der elfjährige Alvin verlor die Hälfte seines Namens, als er nach Hatrack River kam. Zu Hause, in der Stadt Vigor Church, unweit der Stelle, wo der Tippy-Canoe seine Wasser in den Wobbish ergoß, wußte jedermann, daß sein Vater Alvin war, der Müller der Stadt und der Umgebung. Deshalb hieß er dort Alvin Miller. Weshalb sein siebenter Sohn auch Alvin junior genannt wurde. Jetzt aber würde er in einer Stadt leben, in der es wohl kaum jemanden gab, der seinem Pa jemals begegnet war. Hier brauchte man keine Namen wie Miller und Junior. Hier war er einfach nur Alvin. Doch fühlte er sich, wenn er diesen Namen hörte, als würde ihm eine Hälfte seines Selbst fehlen.
Er gelangte zu Fuß nach Hatrack River, war Hunderte von Meilen durch das Wobbish- und Hio-Gebiet gelaufen.
Als er zu Hause losgegangen war, hatte er ein Paar kräftige, gerade erst eingelaufene Stiefel an und trug einen Packen Vorräte auf dem Rücken. Fünf Meilen war er so gegangen, bevor er an der Hütte von armen Leuten anhielt und ihnen seinen Proviant schenkte. Etwa eine Meile später begegnete er einer armen reisenden Familie, die auf dem Weg nach Westen in die neuen Gebiete des Noisy River-Landes war. Er gab den Leuten das Zelt und die Decke aus seinem Rucksack, und weil sie einen dreizehnjährigen Sohn hatten, der ungefähr Alvins Größe besaß, zog er die neuen Stiefel aus und gab sie gleich weiter, einfach so, die Socken mit eingeschlossen. Er behielt nur die Kleider, die er am Leibe trug, und den leeren Rucksack auf dem Rücken.
Ja, diese Leute hatten mit weit aufgerissenen Augen und dümmlichen Mienen darauf reagiert und sich Sorgen gemacht, daß Alvins Pa wütend werden könnte, weil er sein Zeug einfach so verschenkte. Doch er hatte darauf hingewiesen, daß es ja schließlich seins war.
»Bist du denn sicher, daß wir nicht auf deinen Pa treffen werden, der dann mit einer Muskete und einem Reitertrupp hinter uns her jagt?« fragte der arme Mann.
»Ich bin ganz sicher, daß Euch das nicht geschehen wird, Sir«, erwiderte der junge Alvin, »ich stamme nämlich aus der Stadt Vigor Church, und die Leute dort werden Euch bestimmt nicht feindlich entgegentreten, es sei denn, Ihr zwingt sie dazu.«
Die armen Reisenden brauchten fast zehn Sekunden, bis ihnen einfiel, wo sie den Namen Vigor Church schon einmal gehört hatten. »Das sind doch jene Leute, die das Massaker am Tippy-Canoe angerichtet haben, nicht wahr?« sagten sie. »Die Leute mit dem Blut an den Händen.«
Alvin nickte nur. »Ihr begreift also, daß sie Euch in Ruhe lassen werden.«
»Stimmt es, daß sie jeden Reisenden dazu zwingen, sich diese Schreckensgeschichte
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