Der magische Pflug
anzuhören, wie sie diese ganzen Roten kaltblütig getötet haben?«
»Das war nicht kaltblütig«, berichtigte Alvin, »und sie erzählen die Geschichte auch nur solchen Reisenden, die direkt in die Stadt kommen. Also bleibt einfach auf dem Weg, laßt sie in Frieden und reitet weiter. Wenn Ihr erst einmal den Wobbish überquert habt, seid Ihr wieder auf offenem Gelände, wo Ihr froh sein werdet, auf Siedler zu treffen. Bis dahin sind es keine zehn Meilen mehr.«
Da brachten sie keine Einwände mehr vor, ja, sie fragten ihn nicht einmal, wieso er selbst die Geschichte nicht zu erzählen brauchte. Die Erwähnung des Massakers vom Tippy-Canoe genügte, um die Leute zum Schweigen zu bringen, ganz so, als hätten sie in einer Kirche Platz genommen, es erzeugte bei ihnen eine Art heiliger, schamvoller, andächtiger Stimmung. Denn auch wenn die meisten Weißen die Leute mit den blutigen Händen mieden, die am Tippy-Canoe das Blut des Roten Mannes vergossen hatten, wußten sie doch, daß sie an ihrer Stelle dasselbe getan hätten und daß dann ihre eigenen Hände solange von Blut triefen würden, bis sie einem Fremden von ihrer schrecklichen Greueltat erzählt hatten. Dieses Wissen um die eigene Schuld weckte in vielen Reisenden nicht gerade das Verlangen, in Vigor Church oder irgendwelchen Gehöften im oberen Wobbish-Land haltzumachen. Diese armen Leute hier nahmen also einfach Alvins Stiefel und seine Ausrüstung und zogen weiter, froh, daß sie ein Stück Zelttuch über dem Kopf hatten und daß ihr großer Junge nun Leder an den Füßen tragen konnte.
Bald darauf verließ Alvin den Weg und begab sich ins dichteste Waldgebiet. Hätte er Stiefel getragen, wäre er gestolpert, hätte Äste zertrampelt und mehr Lärm gemacht als ein liebestoller Büffel in den Wäldern – und genauso verhielten sich ja auch die meisten Weißen im Naturwald. Weil er aber barfuß ging, weil seine Haut den Waldboden berührte, war er wie ein völlig anderer Mensch. Er war hinter Ta-Kumsaw durch die Wälder des ganzen Landes gelaufen, von Norden bis Süden, und dabei hatte der Junge Alvin gelernt, wie der Rote Mann lief, hatte den Grüngesang des lebenden Waldlandes vernommen, hatte sich in vollkommener Harmonie mit dieser lieblichen, stummen Musik bewegt. Wenn er auf diese Weise lief, ohne darüber nachzudenken, wohin er den Fuß setzte, wurde der Boden sanft unter den Füßen des jungen Alvin, und er wurde geführt, zerbrach kein Unterholz, riß keine Zweige ab, ließ keine Sträucher peitschen. Er hinterließ kaum einen Fußabdruck, kaum einen zerbrochenen Zweig.
Er bewegte sich genau wie ein roter Mann. Und schon bald scheuerte die Kleidung des Weißen auf seiner Haut, und er blieb stehen, um sie auszuziehen, stopfte sie in den Rucksack auf seinem Rücken und lief dann nackt weiter, spürte das Laubwerk an seinem Körper. Schon bald war er in den Rhythmus seines eigenen Laufs versunken, vergaß seinen eigenen Körper, war einfach nur Teil des lebendigen Waldes, bewegte sich weiter, schneller und kräftiger, ohne zu essen, ohne zu trinken. Wie ein Roter Mann, der schier unendlich lange ohne Rast durch den dichten Wald laufen und dabei Hunderte von Meilen an einem einzigen Tag zurücklegen konnte.
Dies war die natürlichste Art zu reisen, das wußte Alvin. Nicht in knarrenden, hölzernen Wagen, die über trockenen Boden klapperten und schmatzend über schlammige Wege rollten. Und auch nicht zu Pferd, auf einem schwitzenden und keuchenden Tier, einem Sklaven der eigenen Eile, der selbst nichts zu erledigen hatte. Nur ein Mensch in den Wäldern, nackte Füße auf dem Boden, nacktes Gesicht im Wind, im Laufe träumend.
Er lief den ganzen Tag und die ganze Nacht bis weit in den Morgen hinein. Wie fand er den Weg? Er spürte die Narbe des vielbenutzten Weges zur Linken, wie einen Pickel oder ein Jucken, und obwohl dieser Weg durch viele Dörfer und manche Stadt führte, wußte Alvin, daß er ihn irgendwann nach Hatrack bringen würde. Schließlich war dies der Weg, dem seine eigenen Eltern gefolgt waren, wobei sie unterwegs jeden Strom und jeden Bach mit Brücken überbaut hatten, während sie ihn als Neugeborenes im Wagen mitführten. Obwohl er diesen Weg noch nie bereist hatte und ihn auch jetzt nicht beachtete, wußte er doch, wohin er führte.
Und so kam er am zweiten Morgen am Waldrand heraus, am Rande des Feldes aus grünem Mais, der über welligem Boden wogte. In diesem besiedelten Gebiet gab es so viele Farmen, daß der Wald rasch
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