Der magische Pflug
eine wunderschöne Vorstellung«, meinte Mistress Modesty.
»Zweifelt Ihr an mir?«
»Ich bezweifle nicht, daß Ihr glaubt, was Ihr sagt.«
Es hatte keinen Zweck, zu diskutieren. Mistress Modesty glaubte ihr zwar, fürchtete sich aber davor zu glauben. Es spielte aber auch keine Rolle. Wichtig war nur Alvin, der gerade seinen zweiten Brunnen fertigstellte. Einmal hatte er sich selbst gerettet; nun glaubte er, daß die Gefahr vorüber sei. Jetzt saß er am Rande des Brunnens, um sich einen Augenblick auszuruhen; jetzt legte er sich hin. Ja, sah er denn den Entmacher nicht, wie dieser sich ihm näherte? War ihm denn gar nicht klar, daß eben diese Schläfrigkeit ihn für den Entmacher öffnete, so daß dieser in ihn eindringen konnte?
»Nein!« flüsterte Peggy. »Schlaf nicht!«
»Ah«, sagte Mistress Modesty. »Ihr sprecht mit ihm. Kann er Euch denn hören?«
»Nie«, antwortete Peggy. »Kein Wort.«
»Was könnt Ihr dann tun?«
»Nichts. Nichts, was mir einfiele.«
»Ihr habt mir doch erzählt, daß Ihr seinen Mutterkuchen …«
»Das, was ich benutzte, ist ein Teil seiner Macht. Doch nicht einmal seine Gabe kann fortschicken, was er selbst herbeigerufen hat. Im übrigen habe ich niemals das Wissen besessen, wie ich den Entmacher selbst abwehren könnte, auch wenn ich eine ganze Elle von seinem Mutterkuchen hätte und nicht nur einen kleinen Fetzen.« Peggy sah in verzweifeltem Schweigen mit an, wie Alvin die Augen schloß. »Er schläft.«
»Wenn der Entmacher siegt, wird Alvin dann sterben?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht. Vielleicht wird er verschwinden, vom Nichts aufgefressen. Vielleicht aber wird der Entmacher ihn auch besitzen …«
»Könnt Ihr denn nicht in die Zukunft sehen, Fackelmädchen?«
»Alle Pfade führen in die Finsternis, und ich sehe keine Pfade, die wieder herausführen.«
»Dann ist es vorbei«, flüsterte Mistress Modesty.
Peggy fühlte etwas Eisiges an ihren Wangen. Ja, natürlich, ihre eigenen Tränen, die in der kühlen Brise trockneten.
»Aber wenn Alvin wach wäre, dann könnte er doch diesen unsichtbaren Gegner abwehren, nicht wahr?« fragte Mistress Modesty. »Es tut mir leid, wenn ich Euch mit Fragen belästige, aber wenn ich weiß, wie die Sache funktioniert, könnte ich Euch vielleicht dabei helfen, Euch etwas anderes einfallen zu lassen.«
»Nein, nein, das liegt jenseits unserer Macht, wir können nur zusehen …« Doch noch während Peggy Mistress Modestys Vorschlag ablehnte, eilte ihr Geist voraus, um Möglichkeiten zu finden, ihn zu nutzen. Ich muß ihn wecken. Ich brauche den Entmacher nicht abzuwehren. Wenn ich Alvin wecke, dann kann er diesen Kampf selbst führen. So schwach und müde er auch sein mag, könnte er immer noch einen Weg zum Sieg finden. Sofort machte Peggy kehrt und stürzte in ihr Zimmer, durchwühlte die oberste Schublade, bis sie den geschnitzten Kasten gefunden hatte, der den Mutterkuchen enthielt.
»Soll ich gehen?« Mistress Modesty war ihr gefolgt.
»Bleibt bei mir«, bat Peggy. »Bitte, leistet mir Gesellschaft. Ihr könnt mich trösten, falls ich versagen sollte.«
»Ihr werdet nicht versagen«, erklärte Mistress Modesty. »Er wird nicht versagen, wenn er wirklich der Mann ist, als den Ihr ihn beschreibt.«
Peggy hörte sie kaum. Sie saß auf der Bettkante und hielt in Alvins Herzensfeuer Ausschau nach einer Möglichkeit, um ihn zu wecken. Normalerweise konnte sie seine Sinne sogar benutzen, während er schlief, konnte hören, was er hörte, konnte seine Erinnerung an seine Umgebung schauen. Doch nun, da der Entmacher einsickerte, verblaßten Alvins Sinne. Sie durfte ihnen nicht trauen. Verzweifelt hielt sie Ausschau nach einem anderen Plan. Ein lautes Geräusch vielleicht? Sie nutzte das Wenige, was von Alvins Wahrnehmungen des um ihn herum existenten Lebens noch vorhanden war, entdeckte einen Baum; dann rieb sie ein winziges Stück von dem Mutterkuchen und versuchte – so wie sie Alvin es hatte tun sehen –, sich in ihrem Geist vorzustellen, wie das Holz in dem Ast auseinanderbrach. Es ging alles fürchterlich langsam – Alvin konnte es so schnell! –, doch schließlich stürzte der Ast. Zu spät. Er hörte es kaum. Der Entmacher hatte schon so viel von der ihn umgebenden Luft entmacht, daß das Beben eines Geräusches nicht mehr zu ihm durchdringen konnte. Vielleicht bemerkte es Alvin aber doch, vielleicht kam er dem Wachzustand ein wenig näher. Vielleicht aber auch nicht.
Wie soll ich ihn wecken, wenn er so tief
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