Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der magische Pflug

Der magische Pflug

Titel: Der magische Pflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
Vom Netzwerk:
schläft, daß nichts ihn stören kann? Einmal habe ich diesen Mutterkuchen gehalten, als ein Dachbalken auf Alvin herabstürzte; ich habe eine kindsgroße Lücke hineingebrannt, so daß ihm nicht einmal ein Haar gekrümmt wurde. Einmal ist ein Mühlstein auf sein Bein gestürzt; ich habe den Mühlstein in zwei Stücke gespalten. Einmal hat sein Vater mit der Heugabel in der Hand in einer Scheune dagestanden, angetrieben vom Wahnsinn des Entmachers, bis er beschlossen hatte, seinen liebsten Sohn zu ermorden; ich habe Geschichtentauscher zu ihm den Hügel hinunter geführt, damit er den Vater von seinem finsteren Vorhaben ablenken und den Entmacher vertreiben sollte.
    Wie? Wie hat Geschichtentauschers Ankunft den Entmacher vertreiben können? Weil er das verhaßte Untier erkannt und Alarm geschlagen hatte – deshalb war der Entmacher verschwunden, als Geschichtentauscher kam. Aber Geschichtentauscher ist nicht mehr in Alvins Nähe; bestimmt ist aber irgend jemand anders da, den ich wecken und den Hügel hinunterführen kann, jemand, der voller Liebe und Güte ist, so daß der Entmacher vor ihm fliehen muß.
    In qualvoller Furcht zog sie sich aus Alvins Herzensfeuer zurück, gerade als die Schwärze des Entmachers es zu ertränken drohte, und suchte in der Nacht nach einem anderen Herzensfeuer, nach jemandem, den sie wecken und rechtzeitig zu ihm schicken konnte. Doch noch während sie suchte, spürte sie in Alvins Herzensfeuer eine gewisse Erhellung, den Anflug eines Schattens unter Schatten, und nicht mehr die gähnende Leere, die sie geschaut hatte, als sie hatte wissen wollen, wo seine Zukunft lag. Wenn Alvin überhaupt noch eine Chance hatte, dann war es die, daß sie weitersuchte. Selbst wenn sie jemanden fand, wußte sie nicht, wie sie diesen Menschen wecken sollte. Aber sie würde eine Möglichkeit finden, sonst würde die Kristallstadt von jener Flut verschlungen werden, die Alvin mit seinem törichten, kindischen Zorn heraufbeschworen hatte.

9. Kardinalvogel
    Alvin wachte Stunden später auf, der Mond stand schon tief im Westen, im Osten erschien das erste matte Licht. Er hatte gar nicht schlafen wollen. Aber er war schließlich müde und hatte sein Werk vollbracht, da war es kein Wunder, daß er einschlief, wenn er die Augen schloß. Es war immer noch genug Zeit, um einen Eimer voll Wasser zu schöpfen und ins Haus zu bringen.
    Hatte er die Augen überhaupt auf? Den Himmel konnte er erkennen, hellgrau zur Linken, hellgrau zur Rechten. Doch wo waren die Bäume? Hätten sie sich nicht sanft in der Morgenbrise bewegen müssen, genau am Rande seines Gesichtsfelds? Ja, es gab nicht einmal eine Brise; und jenseits seiner Augensicht und seines Hautgefühls gab es noch weitere Dinge, die er nicht spürte. Die grüne Musik des lebendigen Waldes. Sie war verschwunden; kein Lebensgemurmel der schlafenden Insekten im Gras, kein Herzrhythmus der in der Morgendämmerung äsenden Rehe. Keine in Bäumen nistenden Vögel, die darauf warteten, daß die Hitze der Sonne die Insekten her vortrieb.
    Tot. Entmacht. Der Wald war fort.
    Alvin öffnete die Augen.
    Hatte er sie denn noch gar nicht geöffnet gehabt?
    Alvin öffnete die Augen erneut und konnte noch immer nichts sehen; ohne sie zu schließen, öffnete er sie noch einmal, und jedes Mal wirkte der Himmel dunkler. Nein, nicht dunkler, einfach nur weiter entfernt, von ihm fortstürzend, als fiele er in eine Grube, die so tief war, daß der Himmel selbst dabei verloren ging.
    Alvin schrie verschreckt auf und öffnete seine bereits geöffneten Augen und sah:
    Die zitternde Luft des Entmachers, die auf ihn drückte, in seinen Nüstern stach, zwischen seine Finger, in seine Ohren.
    Er fühlte sie nicht, o nein. Aber er wußte, was jetzt nicht dort war; die äußersten Hautschichten, überall, wo der Entmacher ihn berührte; sein eigener Körper brach auseinander; die winzigen Teile seiner selbst starben ab, vertrockneten, flockten davon.
    »Nein!« schrie er. Der Schrei machte kein Geräusch. Statt dessen peitschte der Entmacher in seinem Mund hinein, hinunter in die Lungen, und er konnte die Zähne nicht genug aufeinanderbeißen, konnte die Lippen nicht fest genug aufeinanderpressen, um diesen schleimigen Unschöpfer daran zu hindern, in ihm selbst umherzugleiten, ihn von Innen heraus aufzufressen.
    Er versuchte, sich zu heilen, wie er es damals mit seinem Bein getan hatte, als der Mühlstein es in zwei Teile gebrochen hatte. Aber es war wie in der alten Geschichte, die

Weitere Kostenlose Bücher