Der magische Reiter reiter1
wandte ihr Gesicht Hauptmann Mebstone zu. »Jeder nennt mich hier eine Grüne Reiterin. Ich bin keine Grüne Reiterin, ich will auch keine Grüne Reiterin sein. Ich will einfach nur wieder nach Hause. Mein Vater glaubt wahrscheinlich schon, dass ich tot bin.«
»Ich habe bei deiner Ankunft einen Reiter losgeschickt, der ihm mitteilen soll, dass du wohlauf bist.« Hauptmann Mebstone rieb sich die Narbe am Hals. »Ob du dich wie eine Grüne Reiterin benimmst oder nicht, liegt ganz bei dir, doch ich warne dich. Du wirst immer den Rhythmus des Hufgetrappels in deinen Träumen hören.« Sie stand brüsk auf. »Ich empfehle dir, als Grüne Reiterin auf dem Ball des Königs zu erscheinen. Danach, Karigan G’ladheon, kannst du jederzeit nach Hause zurückkehren.« Sie ging ohne ein weiteres Wort.
Karigan blickte aus dem Fenster und seufzte. Bei diesem Tempo würde sie es nie bis nach Hause schaffen. Alles wurde ständig nur schlimmer statt besser. Ungefähr hundert Schritt vor ihrem Fenster erspähte sie eine Bewegung. Eine Waffe, dachte sie, doch F’ryan Coblebay blickte sie an, und seine Miene war schmerzverzerrt. Einen Wimpernschlag später war er, ohne sich gerührt zu haben, verschwunden.
Sie hatte F’ryan Coblebays Botschaft doch überbracht. Weshalb folgte sein Geist ihr dann noch immer?
MIRWELL
»Lasst meinen Arm los.« Mirwell schlug Beryls Hände zur Seite. Normalerweise hätte ihre Berührung ihn gefreut, doch nicht jetzt, nicht hier, vor dem Eingang zu König Zacharias’ Thronsaal. Man stelle sich vor, dass diese Grüne ihn fast über den Haufen gerannt hätte, als wäre er nichts weiter als ein gewöhnlicher Bediensteter! Sie hatten einfach keinen Respekt vor Höherstehenden. »Ich schaffe es auf meinen eigenen zwei Beinen«, knurrte er seine Adjutantin an. Es war schon schlimm genug gewesen, sich den ganzen langen Weg vom Hof hierher auf sie stützen zu müssen, bis sie endlich die großen Eichentüren mit dem brennenden Holzscheit und dem Halbmond erreicht hatten.
Der Herold schritt – das Banner von Mirwell hoch erhoben – den Läufer entlang und verkündete mit schriller Stimme die Ankunft von Lordstatthalter Tomastin II.
Mirwell lachte rau auf.
»Was habt Ihr, mein Lord?«, fragte Beryl gelassen wie immer.
»Seht Euch den König an, meine Liebe. Entweder hat mein Sehvermögen sich deutlich verschlechtert, oder zum ersten Mal, seit Seine Exzellenz den Thron bestiegen hat, ist dieses Früchtchen« – er schluckte schwer und verbesserte sich – »ist Hauptmann Mebstone in meiner Anwesenheit nicht an seiner
Seite.« Mirwell warf den Waffen neben der Tür einen flüchtigen Blick zu, um sich zu vergewissern, ob sie seine Taktlosigkeit vielleicht aufgeschnappt hatten, doch sie standen nur stumm und starren Auges da, wie Wachsfiguren in einem Diorama im Städtischen Kriegsmuseum von Sacor. »Ungewöhnlich«, murmelte er.
Beryl blickte ihn fragend an.
»Hauptmann Mebstone«, sagte er, »seht Ihr sie irgendwo? «
»Nein, mein Lord. Eure Augen trügen Euch nicht.«
»Hätte mich auch gewundert! Ich kann mich vielleicht nicht mehr so gut bewegen wie früher, aber sehen kann ich noch wie eine alte Eule.«
Ein jäher Trompetenstoß gab ihnen das Zeichen, auf dem Läufer zum Thron des Königs zu gehen.
Mirwell reckte die Schultern, obwohl sein Rücken nach Tagen der beschwerlichen Reise wütend protestierte, und räusperte sich. »Vergesst es nicht«, flüsterte er Beryl zu, »bleibt immer einen Schritt hinter mir, nicht mehr und nicht weniger. Wir wollen doch, dass es natürlich aussieht, oder? Wir lassen ihn eine Weile zappeln.« Mirwell rückte das Bärenfell auf seinen Schultern zurecht, das er ungeachtet der Wärme aus Statusgründen trug. Es erinnerte alle daran, dass er, Tomastin II., wenn auch alt, so doch noch immer derselbe Mann war, der starke Mann, der nur mit einem Dolch bewaffnet einen Bären getötet hatte, dem ein Geringerer als er zum Opfer gefallen wäre.
Mirwell schritt den Läufer entlang, langsam und bewusst, als trage er seine Last mit großer Würde. Er achtete nicht auf den ziehenden Schmerz in seinen Knien, der bei jedem Schritt zunahm, und verbarg sein Hinken so gut er konnte. Die Anstrengung
bewirkte zusammen mit dem schweren Fell, dass ihm der Schweiß die Schläfen hinablief.
Beryl blieb gemäß seinem Befehl immer genau einen Schritt hinter ihm. Er stellte sich vor, wie sie die Schultern straffte und mit aufrechtem Gang und vorgestrecktem Kinn einherging und allen
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