Der magische Reiter reiter1
guten Manieren zeugte, dafür den Ärmel zu benutzen, tupfte sie sich mit einer Serviette die Mundwinkel ab. Sie hatte zu viele Tage allein auf der Straße verbracht, und solche Feinheiten waren weniger wichtig geworden.
»Ich werde meinem Vater beim Sommerhandel helfen.«
Alton legte sich, auf einen Ellenbogen gestützt, seitlich in
das frisch riechende Gras und betrachtete nachdenklich den goldenen Pfirsich, den er in der Hand drehte. Seine Hände waren groß und kräftig. »Bist du dir so sicher? Willst du wirklich nicht nach Selium zurück oder den Grünen Reitern beitreten?«
»Man hat mich zu Unrecht aus der Schule hinausgeworfen«, erwiderte sie.
»Und der Reiterdienst?«
»Was das angeht«, sagte Karigan, »habe ich dir und den anderen gegenüber schon oft genug betont, dass ich keine Grüne Reiterin bin und nie eine sein werde.«
Alton zuckte mit den Achseln und biss in den Pfirsich, und beide schwiegen für eine Weile. Schließlich sagte er: »Ich komme mir auch nicht wie ein richtiger Grüner Reiter vor. Meine Familie erlaubt mir nicht, Botenritte zu unternehmen, doch mein Gefühl sagt mir, dass ich muss. Manchmal höre ich in meinen Träumen Hufgetrappel, und dann wache ich schweißgebadet auf und habe den Eindruck, aufbrechen zu müssen, weiß aber nicht, wohin. Jedes Mal, wenn einer losreitet, dreht es mir fast den Magen um, und doch bleibt mir nichts anderes übrig, als hinter ihm herzusehen. Ich kann den anderen kaum in die Augen blicken. Besonders, wenn einer verletzt wird. Oder stirbt.«
Karigan war erstaunt, dass Alton sich gerade ihr anvertraute, und auch die Tiefe seiner Gefühle berührte sie. Sie nahm an, dass er sonst niemanden hatte, mit dem er darüber reden konnte, nicht einmal einen Reiter, der die Grenzen, die Altons Status ihm auferlegte, wohl kaum begreifen würde. Er würde in ihm jemanden sehen, der sich vor seinen Pflichten drückte, oder – noch schlimmer – eine Sonderbehandlung erwartete. Seine Familie brachte seinen Gefühlen zweifellos
wenig Verständnis entgegen, wenn sie ihm verboten, als Reiter unterwegs zu sein. Vielleicht konnte er mit Karigan so gut reden, weil sie der Verlockung widerstand, eine Grüne Reiterin zu werden, und dabei wusste sie ebenfalls, wie es war, dieses Hufgetrappel zu hören.
»Was erwartet deine Familie von dir?«
»Sie will, dass ich bei Hofe umherstolziere und nach einer guten Partie Ausschau halte.« Er grinste schräg. »Manchmal tue ich ihnen den Gefallen, wie bei dem Ball neulich. Wenn meine Familie wüsste, dass ich meine Zeit mit einer anderen Grünen verbringe … einer Bürgerlichen … jungen Frau …« Er stammelte vor sich hin, nicht sicher, wie er sich ausdrücken sollte, ohne sie zu beleidigen. »Sie würden mich ins Herrenhaus zurückbeordern und mir wieder Unterricht als Steinmetz geben lassen.«
Nun blickte er auf seine großen Hände, die Finger gespreizt, die Handflächen nach oben. »Vielleicht überrascht es dich zu erfahren, dass ich Schwielen an den Händen habe. Von klein auf musste ich das Handwerk des Steinmetzen erlernen. Das ist Familientradition. Du würdest mir nicht glauben, wie viele Stunden ich auf Granit eingeschlagen habe, mit blutenden Knöcheln, bis ich genug Übung hatte, auf Anhieb die richtige Stelle zu treffen, um den Stein zu spalten.« Er seufzte. »Der Riss im D’Yer-Wall ist für meine Familie eine Schmach.«
Sie nahm seine Hände in ihre und spürte die Schwielen und seinen kräftigen Griff. Sie lächelten einander an. Karigan ließ seine Hände los. »Aber der Wall wurde vor tausend Jahren erbaut«, sagte sie. »Steinmauern zerfallen mit der Zeit.«
Alton schüttelte den Kopf. »Bei diesem Wall dürfte das nicht geschehen. Er wurde mit den größten Fertigkeiten errichtet,
die wir besaßen, und der Stein wurde auf eine Weise magisch behandelt, die heute vergessen ist. Der Wall musste stark sein, um das Böse des Schwarzschleierwalds fernzuhalten. Zeit oder Generationen machen die Schmach eines Clans nicht geringer.«
Das hörte sie zum ersten Mal. Sicher nur deshalb, weil es den Clan G’ladheon noch nicht sehr lange gab, und er leitete sich auch nicht vom ursprünglichen Clan Sacor ab. Sie ließ Wasser aus dem Schlauch über ihre Hände laufen, um sie vom klebrigen Pfirsichsaft zu säubern. Sie würde sich in diesem Leben vorsichtig verhalten müssen, um keine Schande über ihre Nachkommen zu bringen.
»Wird jemand den D’Yer-Wall ausbessern?«
»Ich weiß nicht, ob wir das können.«
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