Der magische Reiter reiter1
Es handelte sich um etwas, was Frachtmeister Sevano ihr beigebracht hatte: Unberechenbarkeit.
Während des Schlagabtauschs wartete Karigan auf den richtigen Augenblick. Er kam in Form eines besonders harten Hiebs von Shawdell.
Karigan taumelte rückwärts und sank wie benommen auf die Knie. Mit flehendem Blick schaute sie zu Shawdell auf und hielt den Atem an, die Schwertspitze zum Zeichen der Aufgabe zu Boden gerichtet.
Shawdell lachte triumphierend und zog sein Schwert wie eine Axt nach unten, um sie in zwei Hälften zu spalten.
Karigan stieß einen markerschütternden Schrei unterdrückter Wut aus, hechtete auf ihn zu und umschlang seine Taille. Das Schwert schlug so weit hinter ihr auf, dass es für sie keine Gefahr darstellte. Sie riss den Eleter um und rollte sich ab.
Flink wie eine Katze kam Shawdell wieder auf die Beine. Der Plan war gescheitert, und nun würde er bei ihr auf alles gefasst sein.
Hatten Karigans Überlebensinstinkte und Erfahrungen ihr bisher geholfen, so schwanden sie nun dahin und ließen sie ausgelaugt und hoffnungslos zurück. Sie konnte nicht mehr lange durchhalten. Das Glitzern in Shawdells Augen sagte ihr, dass er das wusste.
Laurelyns Licht war vor Äonen erschaffen worden, um sich der Finsternis entgegenzustellen, sie abzuwehren und zu besiegen. Vor tausend Jahren hatten die eletischen Krieger der Liga Lichtklingen getragen, um die Woge der Finsternis zurückzuschlagen. Das Licht hatte sich damals gegen die Finsternis gewandt und tat es auch heute.
Angesichts von Karigans Verzweiflung erstrahlte die Lichtklinge eher noch heller, statt zu verblassen. Neue Hoffnung stieg in Karigan auf, als wäre sie ein Teil des Lichts. Das Strahlen legte sich über die gesamte Anhöhe, gleißender als der Sonnenschein, und die Geister, Schatten des Nachlebens, wurden bleich und fahl. Shawdells Miene drückte Unsicherheit aus, und Karigan stürzte sich nach vorn.
Mit aller Kraft schlug sie gegen Shawdells Klinge. Es gab eine Explosion von Licht, die noch den Glanz eines Silbermondstrahls übertraf – es war kristallenes reines Weiß, das ihre Augen blendete.
Dann stieß sie nach ihm, und ihre Klinge grub sich tief in seinen Körper. Mit ausgebreiteten Armen taumelte Shawdell zurück. In der einen Hand hielt er sein zerschmettertes Schwert, die andere presste er auf den Magen, um zu verhindern, dass seine Eingeweide hervorquollen. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch es kam nur Blut heraus.
Karigan keuchte. »Du unterschätzt den Lebenswillen der Sterblichen. Du hast ihn die ganze Zeit unterschätzt.«
Doch noch während sie hinsah, begannen die Fleischwülste an seinem klaffenden Magen sich unter seiner Hand wieder zusammenzuziehen. Ein letzter Tropfen Blut quoll von seinen Lippen, als er sagte: »Und du unterschätzt die dunklen Mächte, Mädchen. Dein Mondstrahl ist nichts.«
Wie als wütende Antwort schmolz die Mondlichtklinge zu einem Stumpf zusammen, der schließlich die Form einer hell leuchtenden Kugel annahm. Das Licht wurde stärker und schickte Tentakel lodernder Helligkeit aus, die suchten, forschten. Shawdell ließ sein nutzloses Schwert fallen, um seine Augen zu beschatten, und torkelte zurück. Wie in der Silbermondnacht, als sie ihn nach dem Ball hatte umherstreifen
sehen, schien er von einem schwarzen Schild beschützt zu werden. Doch diesmal flackerte der Schutzschild, wurde hier etwas dünner und dort wieder dichter. Je mehr sein Schild waberte, desto kräftiger wurden die Mondstrahlen und desto begieriger suchten sie nach einer schwachen Stelle.
Shawdell schrie auf, und sein grauer Umhang färbte sich dunkel von Blut. Er wich zurück, hielt sich noch immer den halb verheilten Magen und fuchtelte mit dem anderen Arm wie besessen in der Luft herum, als würde er von einem ganzen Bienenschwarm angegriffen. Sein graues Pferd tauchte aus dem Wald auf, und taumelnd schleppte er sich zu ihm, wobei er unablässig den Mondstrahl bekämpfte.
Wie eine verwundete Spinne kletterte er auf den Rücken des Pferds und trieb es zum Galopp an. Die Lichtklinge schoss hinter ihm her in die Wälder.
Shawdells Sklavengeister heulten verzweifelt auf und verschwanden. Die Geister der Grünen Reiter verschmolzen miteinander und verblassten. Irgendwo im Tal sah ein Hauptmann der Grünen Reiter fassungslos mit an, wie die Angreiferin das Schwert mitten im Schlag fallen ließ.
Karigan schloss für einen Moment die Augen. Als sie sie wieder öffnete, blickte sie auf ihre Handfläche.
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