Der magische Reiter reiter1
auf einem Knie und setzte ihr die Schwertspitze an die Brust. Schritte näherten sich von hinten.
»Zurück, Kaufmann«, sagte Jendara, ohne dass sie den Blick von Karigan nahm. Ihre Miene war entschlossen, die Augen schmal. Sie wirkte wie ein Raubtier, bereit, die Fänge in ihr Opfer zu schlagen. »Zurück, oder mein Schwert kostet noch mehr von ihrem Blut, und von deinem gleich dazu.«
Karigan spürte, wie ihr Vater hinter ihr zögerte. »Geh«, sagte sie. »Sie meint es ernst.« Sie hörte, wie er sich entfernte, und den leisen Klang seiner Stimme, als er sich mit Sevano besprach.
Karigan starrte an Jendaras funkelnder Klinge vorbei zu ihr hoch. »Du solltest mich lieber nicht aufhalten«, sagte sie.
»Du hättest mich töten sollen, als du die Gelegenheit dazu hattest«, erwiderte Jendara.
»So etwas liegt mir nicht.« Die stolze Jendara war nicht mehr sie selbst; fast schien es Karigan, als hätte man durch unablässiges Prügeln ihren Willen gebrochen. Ihre wilden, habichtgleichen Züge waren von blauen Flecken, Schnitten und Schwielen übersät. Hatte sie sich seinerzeit in Jendara geirrt? Hatte sie sich geirrt, als sie genug Gutes in ihr gesehen hatte, das es wert war, bewahrt zu werden? Oder hatte F’ryan Coblebay recht gehabt? Jendara hatte sie nicht gleich getötet, und das war schon etwas – ein Funken Hoffnung.
Der Lärm von Hauptmann Mebstones Kampf mit Beryl riss Jendara anscheinend aus ihren Gedanken. »Ich darf nicht zulassen, dass du dich in König Amiltons Angelegenheiten mischst«, sagte sie. »Wir haben zu hart dafür gearbeitet und zu lange darauf gewartet, dass er für sich beanspruchen kann, was ihm von Rechts wegen zusteht.«
»Dein König stirbt.«
Jendara warf einen Blick über ihre Schulter, und die Locken ihres rostbraunen Haars schimmerten. Sie schien zu zögern, und Karigan nutzte den Vorteil – nicht mit einer Waffe, denn sie besaß keine, sondern mit Worten.
»Wenn ich mich unsichtbar mache, sehe ich es; ich sehe den Eleter. Der Stein, den er trägt, kettet sie aneinander, doch schon bald wird der Eleter Amilton vollends übernehmen. Dann wird es keinen König Amilton mehr geben. Überhaupt keinen Amilton mehr. Wenn du mich aufhältst, wird es auch keinen König Zacharias mehr geben. Nur noch den Eleter. Wer weiß, was dann aus Sacoridien wird.«
Jendara schüttelte den Kopf. In ihren Augen erschien und verschwand ein ganzes Kaleidoskop von Gefühlen.
»Das musst du doch selbst sehen«, sagte Karigan und spürte die Zeit verstreichen wie Blut, das sich aus einer Wunde ergießt. »Ist er noch derselbe Mensch, den du zu beschützen geschworen hast? Oder hat er sich verändert?« Ihre Stimme nahm einen verzweifelten Tonfall an. Mit jedem Atemzug wurde der Eleter stärker und bewegte sich König Zacharias weiter auf den Tod zu. Sie durfte ihn nicht sterben lassen. Doch was konnte sie in ihrer Situation schon dagegen ausrichten? Ein zweites Mal würde sie Jendara nicht entkommen. »Er stirbt, verstehst du denn nicht? Beide sterben! Sie werden geopfert, damit der Eleter noch mehr Kraft gewinnt.«
Jendaras Blick suchte ihren. Sie schürzte die Lippen. Dann richtete sie sich grollend auf und schob ihr Schwert in die Scheide zurück. Sie packte Karigans Handgelenk und riss sie auf die Beine.
»Ich weiß«, sagte sie. »Ich glaube, ich habe es schon lange Zeit gewusst. Er ist nicht mehr der, der er einmal war. Was hast du vor?«
»Sie voneinander zu trennen.«
Jendara hob den Säbel der Ersten Reiterin auf und drückte Karigan den Griff in die Hand. Als Karigan die Waffe entgegennahm, berührten sich ihre Finger, und im Bruchteil eines Augenblicks wurde Karigan klar, welches Opfer Jendara brachte. Ganz gleich, wie es endete, für sie würde es nicht gut ausgehen.
»Jendara … «
»Ich habe endlich einmal die richtige Entscheidung getroffen«, sagte Jendara. Sie schob Karigan in Richtung des Podests. »Du darfst keine Zeit verlieren.«
Karigan hatte sich geirrt. Jendaras Wille war nicht gebrochen worden, sondern erstrahlte heller denn je. Doch sie
hatte sich nicht darin geirrt, dass in Jendara noch immer Güte zu finden war. Sie wandte sich dem König und seinem Bruder zu.
König Zacharias’ Rücken war gebeugt, und Blut sickerte aus seiner Nase. Seine Wangen waren eingefallen, die Haut käsig, und sein Haar war stumpfer geworden, als verlasse ihn seine Lebenskraft. Im Gegensatz dazu war Amilton-Shawdell das blühende Leben. Sein Haar war nun endgültig golden.
Der
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