Der magische Reiter reiter1
Karigan die Augen öffnete, blickte sie genau auf Thornes Stiefelspitzen. »Ich weiß doch, dass du nicht schläfst.«
Sie spuckte auf seine Stiefel.
»Eines muss man dir lassen«, sagte Thorne, »du bist vielleicht kein Geisterreiter, aber Widerstandsgeist hast du!« Er lachte über seinen eigenen Witz, während Jendara ihm einen empörten Blick zuwarf, als müsse sie mehr von seinem Humor ertragen, als ihr lieb war. »Morgen machen wir uns auf den Weg, um uns mit Hauptmann Immerez zu treffen. Ich erwarte, dass du dich gut benimmst, Diebin. Ja, du wirst eine Diebin sein, Mädchen. Dann werden die Leute auf der Straße weniger Mitleid mit dir haben. Ein Wort über Grüne Reiter, und ich schicke dich in die Geisterwelt.« Wieder lachte er schallend, und bevor Karigan etwas tun konnte, um den Angriff abzumildern, hatte er ihr schon in die Rippen getreten.
Der Schmerz raste durch ihren Körper, während Thornes Gelächter ihr in den Ohren gellte. Jeder Atemzug, den sie machte, zerriss sie fast. Durch einen Schmerzschleier glaubte sie F’ryan Coblebay zu sehen, der weiß und durchscheinend zwischen den Bäumen stand. Sie schloss die Augen, und als sie sie wieder aufschlug, war er fort.
Karigan schleppte sich mit gesenktem Kopf durch knöcheltiefen Schlamm. Ein Sturm fegte durch die Baumwipfel, und dichter Regen prasselte vom dunklen Himmel. Blitze durchzuckten die Finsternis. Anfangs wollte Thorne Karigan keinen Schutz gegen das Wetter überlassen. Sie hatten keine zusätzlichen Decken, und er wollte ihre »Identität« nicht preisgeben, indem er sie den grünen Mantel tragen ließ. Überraschenderweise bestand Jendara darauf, dass er Karigan erlaubte, ihn zu tragen.
»Das Pferd und die Ausrüstung werden sie ohnehin verraten«, sagte die Söldnerfrau. »Wir können behaupten, dass sie alles gestohlen hat. Denk dran, sie ist eine Diebin. Außerdem
treiben sich an einem solchen Tag bestimmt nicht allzu viele Trottel auf der Straße herum.« Sie starrte Thorne bedeutungsvoll an, weil es seine Idee gewesen war, trotz des Sturms weiterzuziehen, statt sich irgendwo einen trockenen Unterschlupf zu suchen.
Thorne gab nach, doch als man Karigan endlich erlaubte, den Mantel zu tragen, war sie schon völlig durchnässt. Mit gefesselten Händen stülpte sie sich die Kapuze über den Kopf und durchstöberte die Taschen vergebens nach der Steinbeerblüte und dem Lorbeerzweig. Die Söldner mussten sie als wertlos weggeworfen haben. Sie seufzte verzweifelt. Diesmal gab es keine Hoffnung auf Hilfe – sie würde schon selbst einen Ausweg finden müssen.
Die Feuchtigkeit bewirkte, dass ihre Rippen dumpf pulsierten, doch der jähe Schmerz war gewichen, und sie konnte etwas leichter atmen. Ihre Handgelenke waren unter den Binden rot angeschwollen. Thorne hatte ihr nicht erlaubt, einen neuen Verband über den Verbrennungen anzulegen.
»Wie hast du dir die überhaupt zugezogen?«, fragte er. »Tapsig mit dem Lagerfeuer hantiert?«
Die Frage war es nicht wert, sich der Mühe einer Antwort zu unterziehen. Ein Lagerfeuer, also wirklich! Sie wünschte, eine weitere Kreatur würde angreifen – dann würde man ja sehen, ob Thorne sich ebenso wacker schlug, wie sie es getan hatte. Sie stellte sich riesige Klauen vor, die seine Körpermitte umklammerten und so fest zudrückten, dass ihm die Augen herausquollen.
Irgendwo in der Nähe schlug mit ohrenbetäubendem Lärm ein Blitz ein. Pferd schnaubte und tänzelte nervös zur Seite. Karigan verzog das Gesicht, als ein Kribbeln sie von den Füßen bis hinauf zu den Haarwurzeln durchlief. Das Donnergrollen
verklang, und Karigan dachte: Narren, sie besitzen noch nicht einmal so viel Verstand, Deckung zu suchen, wenn ein Unwetter Blitze verschickt.
Ein Umstand besänftigte sie allerdings ein wenig: Falls einer von ihnen vom Blitz getroffen würde, würden es – der Schwerter wegen, die sie an der Seite trugen – Thorne oder Jendara sein. Das war durchaus kein unerfreulicher Gedanke.
Sie wechselten sich sogar ungeachtet des Sturms dabei ab, auf Pferd zu reiten. Erst hatte er sich ihnen entzogen, doch Thorne hatte wieder damit gedroht, ihm die Sehnen zu durchtrennen. Karigan befahl ihm, stillzuhalten. Er blickte sie aus großen Augen an und schnaubte trotzig, ließ jedoch zu, dass man sich auf ihn setzte. Keiner der beiden Söldner ritt jedoch besonders lange auf ihm.
»Man braucht ja einen Hintern aus Stahl, um dieses Vieh zu reiten«, erklärte Jendara. »Ich schätze, als Lasttier
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