Der magische Wald
Vollmond war vorüber, aber er war immer noch groß und silbrighell. Hell genug, um die Verfolger anzuspornen. Hell genug zum Jagen. Bald würde er die Wälder in ein helldunkel geflecktes Tuch aus Lichtflecken und Schatten verwandeln. »Herr im Himmel, ich kann keine Bäume mehr sehen, sie machen mich krank«, sagte er. Cat erwiderte nichts. Sie sattelte die Pferde ab und rieb sie mit den feuchten Satteldecken ab. Die Tiere würden heute nicht angebunden werden müssen. Dunkelheit. Sie kroch aus den Bäumen, erhob sich aus dem laubbedeckten Boden und stieg zwischen die schweren Wolken. Die Dunkelheit machte ihn auch krank. Zwei Drittel des Tages schienen ihr zu gehören. Unter den Bäumen fand sich genug totes Holz, und zwischen den Wurzeln hatte sich trockenes Laub gesammelt. An Stellen, wo die Bäume nicht so dicht standen, bedeckten Schneeflecken den Boden. Der Boden war kalt, der Lehm unter dem Humus saugte die Wärme des Tages auf. Sie brauchten das Feuer. Es diente gleichermaßen ihrer Sicherheit und ihrem Trost. Er schürfte sich einen Fingerknöchel auf, als er versuchte, Feuer zu schlagen, und fluchte leise. Seine schwache Hand machte die Sache schwierig. Ein Funke nach dem anderen stob in den Zunder, rauchte kurz und erstarb dann. Schließlich aber zündete einer und glühte auf. Er beugte sich hinunter und blies unendlich vorsichtig in die Glut, bis eine Flamme emporzüngelte und sich zaghaft durch die Blätter und Zweige wand. Der Boden von alten Vogelnestern, die sich an geschützten Stellen befunden hatten, bildete durch die Federn und die dünnen Halme guten Zündstoff. Das Feuer wuchs. Behutsam legte er kleine Zweige auf, schichtete sie sorgsam um den Flammenherd. Als er sich mit schmerzendem Rücken wieder aufrichtete, sah er mit Schrecken, daß es nun fast stockdunkel war. Cat rollte ihr Bettzeug aus, und sogar über das Feuer hinweg konnte er die muffige Feuchte der Decken riechen. Zu viele verregnete Nächte, zuviel Lehmboden als Untergrund. Sie wärmten sich gegenseitig mehr als die Decken es vermochten. Und trotz dieser Nähe hatten sie sich seit vielen Tagen nicht mehr geliebt. Einer von ihnen mußte immer wachsam bleiben. Damit sie nicht — wie vor drei Nächten — davon erwachten, daß die Pferde schrien. Damit sie nicht in der Dunkelheit jenseits des Feuers Augen glühen sehen mußten, und das grunzende Knurren hören mußten, das fast wie eine Sprache klang. Sie waren fast getötet worden. Das Feuer entwickelte sich gut. Er konnte jetzt armdicke Äste hineinlegen und beobachten, wie Funken in den Himmel stiegen wie frischgeschmiedete Sterne. Die Wärme der Flammen war Balsam für sein windgegerbtes Gesicht und linderte den Schmerz seiner überstrapazierten Glieder. Sie aßen trockenes Brot und gedörrtes Fleisch und spülten es mit einem Schluck Wein hinunter. Prachtvoller Rotwein von den kleinen Weinfeldern, die die Menschen im Wald in der Nähe der Ebene angelegt hatten. Die Lederschläuche hatten seinen Geschmack kaum beeinträchtigt. Aus einer Amphore hätte er köstlich geschmeckt. Sie hatten jetzt nur noch ungefähr einen Liter, und das war höchst bedauerlich. Das Aroma des Weines hatte den dumpfen Geruch des Waldes vertrieben und ließ Michael an sonnenbeschienene Berghänge denken, auf denen sich endlos Weinreben erstrecken — an Orte, die er niemals gesehen hatte. Er lächelte Cat an. Er wußte, daß auch sie ein Geschöpf des Sommers war, daß sie die Wärme liebte. Sie wirkte so blaß und schmal in ihrer dicken Kleidung, daß er sie an sich zog und ihren zarten Körper spürte. Knochen wie die eines Vogels, dachte er. »Wir werden heute nacht Ruhe haben«, sagte sie und legte ihren Kopf an seine Schulter. Er spürte, wie sie gähnte. »Wie das?« »Sie sind tagsüber langsam. Sie bleiben in den dichtesten Wäldern. Für jede Meile, die sie uns näher kommen, laufen sie fünf Meilen. Es ist ein wildes Land, das hinter uns liegt.« In der Tat. Sie hatten ihre Pferde fast umgebracht. Er fragte sich, wie lange es noch einen Pfad zwischen den Bäumen und Büschen geben würde, den ein Pferd passieren konnte. Die Beine der Tiere waren zerkratzt und aufgeschürft, und gestern war der Graue mit dem Vorderlauf eingebrochen und hatte sich das Knie an einer tückischen Wurzel aufgerissen. Er lahmte jetzt, und das würde nicht besser werden, solange ihre Flucht andauerte. Fancy, der braunen Stute, ging es nicht viel besser. Sie war einmal ein tänzelndes, rassiges Tier gewesen, der
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