Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der magische Wald

Titel: Der magische Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Kaerney
Vom Netzwerk:
für ihn geben. Es war ganz allein sein Kampf. Aus diesem Grund hatten sie Clare verhext. Für einen Augenblick wünschte er sich Cat an seine Seite, damit sie ihm in dem Kampf beistand. Sie hätte ihm etwas Mut machen können. Es war so still, daß er das Pochen seines Herzens deutlich hören konnte. Die Hand, in der er das große Küchenmesser hielt, zitterte. Ich bin ein Angsthase geworden, dachte er. Ich habe zu lange in dieser langweiligen Welt gelebt. Im Wald war die Angst sein ständiger Begleiter gewesen, so lange, bis sie keine Angst mehr gewesen war, sondern einfach eine weitere Körperfunktion. Die Furcht war damals ein wichtiger Besitz gewesen. Sie hatte den Verstand geschärft.

    Jetzt vernebelte sie seinen Verstand. Ließ seine Gedanken wirr kreisen. Er riß einen Besenstiel los und begann, ein weiteres Küchenmesser mit dem Ende einer Wäscheleine daran zu befestigen. Hier gab es weder Kreuze noch Weihwasser. Nichts, um die Bestien in Schach zu halten. Man mußte Glauben haben, um die Tür vor ihnen zu verschließen. In seiner Heimat in Irland war der Glaube immer stark gewesen. Doch hier gab es keine Geschichte, keine Tradition. Dieses Gebäude hier war wie alle anderen in der Straße nur eine Betonschale, die vom Leben der Menschen, die es bewohnten, kaum berührt wurde. Die Wesen aus dem Wald würden keine Einladung brauchen, um seine Schwelle zu übertreten. Ein Kratzen war an der Tür zu hören, wie von einem Hund, der Einlaß begehrt, nur, daß das Kratzen in Kopfhöhe ertönte. Man

    konnte ein dunkles Knurren vor der Tür hören, tief genug, um in Michaels Kopf zu brummen, und irgend etwas begann, an dem Türschloß herumzuschnüffeln. Schritte von weichen Pfoten auf dem Flur, und das Scharren und Kratzen von Krallen. Ein heftiger Schlag ließ die Tür im Rahmen erzittern. Michael hob den improvisierten Speer und wich in die Küche zurück. Für einen Augenblick herrschte wieder Stille, abgesehen von dem gräßlichen Schnüffeln auf der anderen Seite der Tür. Die Bodenbretter des Flurs knarrten. Scharren und Poltern. Michael glaubte, keuchende Atemgeräusche zu hören. Und dann sickerte Gestank in seine Wohnung, ein widerwärtiger Geruch nach verdorbenem Fleisch, ungegerbtem Leder, modrigem Waldboden und fauligem Wasser. Ein Windstoß fegte durch die Diele,

    verstärkte den Gestank, daß die Intensität des Geruches ihm fast den Atem nahm. Es war, als sei die Wohnung um ihn herum blanke Illusion, als stünde er in Wahrheit in einem feuchten Wald, aus dessen Bäumen Leichengeruch kam. Er schloß die Augen. Es wurde klarer. Ein schemenhaftes Gewirr von großen Bäumen um ihn herum, tote Blätter modrig unter seinen Füßen. Alles war ruhig in dem Zwielicht, die Dämmerung kam schnell, und Schatten bewegten sich durch die Tiefen des Waldes. Wind fuhr durch sein Haar. Nein. Er war hier in der Stadt und spürte die Fliesen der Küche kalt unter seinen Füßen, hielt den Besenstiel in seinen schwitzenden Händen. Hier, in seiner eigenen Welt, inmitten von Millionen Menschen. Dutzende Menschen schliefen in Rufweite. Doch er wußte, daß sie keinen Ton bemerken würden.

    Er konnte nichts hören, spürte aber deutlich die Gegenwart eines mächtigen Wesens hinter der Tür. Er verließ die Küche, ging gebückt hinüber zum Fenster und spähte durch die Jalousie. — Der kurze Eindruck einer teuflischen Fratze, die ihn angrinste. Er zuckte zurück, blickte dann vorsichtig wieder hinaus.Über einen endlosen Wald, winterkahle Bäume unter kalt funkelnden Sternen. Er ging vom Fenster weg. Tricks. Sie spielten mit ihm. Ein ersticktes Kichern, wie das Lachen eines Kindes, aus dem Schlafzimmer. Er rannte mit vorgestrecktem Speer dorthin, sah das zerwühlte Bett, den blassen Umriß von Clares nacktem Körper — und eine schwarze, spinnenartige Kreatur, die kichernd auf ihr saß. Er brüllte vor Wut und stach nach dem Wesen, aber es sprang davon und schoß immer noch glucksend durch den Raum. 

    In seiner klauenähnlichen Hand hielt es einen schwarze Ring aus Haaren. Es war schwer zu erkennen. Er stocherte in den Ecken und zwischen den Kleidungsstücken auf dem Boden herum. Wieder das Lachen; der Verursacher war unsichtbar. Michael zitterte vor Wut und Angst. Er beugte sich über Clare und sah, daß man ihr ein paar der dunklen Locken abgeschnitten hatte. Eicheln lagen auf ihren Augen und ein rotes Büschel Ebereschenbeeren in dem dunklen Pelz zwischen ihren Beinen. Das Bett war mit verrottetem Laub,

Weitere Kostenlose Bücher