Der magische Wald
Bestie näherten sich seinem Gesicht. Er riß sich die Fingerknöchel auf, als er den Kopf des Wolfes zur Seite schlug. Die Kiefer schlossen sich um seinen Unterarm, und es war, als preßte ein rasiermesserscharfer Schraubstock ihm die Knochen ein. Ein Klirren ertönte, als Michael der Schlüsselbund aus der Tasche fiel.
Seine Schlüssel. Seine freie Hand tastete danach, wühlte sich durch den Morast und die Zweige. Dann lagen die Schlüssel hart und kalt in seiner Hand. Mit absurder Routine erschien der Haustürschlüssel zwischen seinen Fingern. Es war ein alter Schlüssel, der Schlüssel eines viktorianischen Backsteingebäudes. Die Schlösser waren nie ausgetauscht worden. Ein Schlüssel aus Eisen. Er stieß ihn in eines der grün glühenden Augen und sah, wie das Glühen darin erlosch. Der Druck um seinen Arm lockerte sich, die Zähne wurden aus seinem Fleisch gezogen. Der Wolf fiel zur Seite, mit einem Geräusch wie zerbrechendes nasses Holz. Das Gewicht auf seiner Brust verschwand, und er konnte wieder leichter atmen. Als er zur Seite blickte, war von der Bestie nur noch ein Holzgerippe übrig, das in der Dunkelheit kaum zu erkennen war. Es war eine Art Skelett aus Ästen; von dem Fleisch des Wesens war nur noch faulende Borke übrig und ein pilzartiges Gebilde im Brustkorb. Dann sanken die Reste der Bestie in den Waldboden und verschwanden. Er legte sich auf den Rücken. Sein Körper war eine einzige Wunde, und das Blut floß aus seinen Verletzungen und bildete klebrige Lachen im Laub. Der Arm, in den der Wolf gebissen hatte, war gefühllos. Er warf einen angstvollen Blick darauf und sah, daß Fleisch und Sehnen bis auf den Knochen zerfetzt waren. Seine Hand hing wie eine tote Spinne am Gelenk. Er konnte sie nicht bewegen. Der Knochen war zwar nicht durchbissen, aber Sehen und Nerven hatte es erwischt. Er registrierte diese Tatsache seltsam unbeteiligt. Es war nicht wichtig. Er würde hier sterben — so viel war sicher.
Aber vorher mußte er noch etwas erledigen. Er hatte Cat gesehen. (Oder war es Rose gewesen?) Das war Grund genug, sich aufzusetzen, die Überreste seines Hemdes zu einer Schlinge zusammenzuknoten und seinen zerfetzten Arm dort hinein zu legen. Er konnte kaum gehen. Der Mond schien fahl hinter den Bäumen. Und hinter ihm heulten wieder die Bestien. Ein ganzes Rudel war auf seiner Fährte. Wenn er nur sein Ulfberht hätte -und die Kraft, es zu führen, fügte er im stillen hinzu. Immer wieder wurde ihm schwarz vor Augen. Mühsam schwankte er weiter. Der Schmerz verdrängte Panik und Angst aus seinem Bewußtsein. Ich sterbe. Aber auch das spielte keine Rolle mehr. Er wollte nur noch eines: seine Neugierde befriedigen, bevor es zu Ende ging. Und Cat wiedersehen. Vielleicht würde es doch noch ein Ende wie im Märchen geben, und er konnte in ihren Armen sterben. Er stürzte, fluchte kraftlos und stand wieder auf. Hatte ihm jemand geholfen? War da ein Arm, der ihn stützte? Egal. Er konnte jetzt besser gehen. Er kam durch eine Baumreihe — da war ein heller, silberfarbener Schein. Der Wald hörte auf, als wäre er ein Teppich mit einer glatten Kante. Vor ihm lag offenes Land, das sich zu Hügeln erhob. Direkt vor ihm erhob sich einer der Hügel über die anderen und wurde zu einem zerklüfteten Felskegel, der schwarz im Mondlicht schimmerte. Auf seinem Gipfel stand ein Gebäude, das so kunstvoll angelegt war, daß man unmöglich sagen konnte, wo der Fels endete und die Mauer von Menschenhand begann. Ein Schloß. Er lächelte. Natürlich. Alles paßt
zusammen. Er schritt aus dem Wald, verließ ihn genau in dem Moment, in dem die mörderischen Schatten ihn anspringen wollten. Sie verharrten unter den letzten Bäumen, knurrten und kläfften vor Enttäuschung, kamen aber nicht weiter. Michael grinste sie an. Leckt mich. Dann taumelte und stolperte er durch die mondhellen Hügel nach Süden, zum Schloß des Schwarzen Reiters.
KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG
Es war kalt in den Hügeln. Das Mondlicht glitzerte über Gras, das mit Rauhreif überzogen war. Ein Stück weiter bedeckte eine dünne Schneeschicht den Boden, und schon bald reichte ihm der pulvrige Schnee bis zu den Knöcheln. Seine Füße wurden naß und taub. Er stopftesicheineHandvollSchneeinden Mund, um seinen quälenden Durst zu löschen. Die Kälte schmerzte an seinen Zähnen und pochte in seinem Kopf. Seine Augen brannten wie zwei feurige Kugeln in einem eiskalten Schädel, aber er spürte kaum den Schmerz seiner Verletzungen. Ihm war
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