Der magische Wald
zerbrochenen Zweige und harten, unreifen Winterbeeren bedeckt. Er fegte alles beiseite und schüttelte sie noch einmal, aber sie atmete regelmäßig in tiefem Schlaf weiter. Noch ein krachender Stoß gegen die Tür. Lang anhaltendes, aufgeregtes Geheul ertönte auf dem Flur und das Geräusch von knurrenden und hechelnden Tieren.
Sie warteten auf etwas, wurden allmählich ungeduldig. Das Schlafzimmer wirkte leer, die Kreatur war verschwunden. Er küßte Clare und kam sich dabei wie ein Betrüger vor. Dann ging er in die Diele. Auf dem Boden lag Laub, und er spürte Aststücke unter seinen nackten Füßen. Pilze waren in den Ecken des Zimmers gewachsen. Es roch modrig in der Wohnung, und die Temperatur war so weit gefallen, daß Michael seinen Atem weiß durch die stinkende Luft wehen sah. Ein ungesunder Windhauch kam wieder aus dem Nichts und brachte mit dem Verwesungsgestank einen leichten Schneegeruch, den Atem der dunklen Jahreszeit. Es war wie tief im Wald in einer Winternacht. Fröstelnd ging er wieder ans Fenster. Der Wald war immer noch da. Nebel stieg aus ihm auf, und über die Wipfel der höchsten Bäume hatte sich der Mond erhoben. Die kahlen Äste glitzerten frostig, und der dünne Nebel leuchtete im Mondlicht. Michael sank mit den Knien in den Moder, der sich langsam auf dem Boden der Wohnung ausbreitete. Der Andere Ort kam zu ihm. Er stöhnte und glaubte, als Antwort draußen ein glockenhelles Lachen zu hören. Aber er schaute nicht hinaus. Warum? Warum kamen sie ihn holen? Hatte er ihnen und ihrem Wald so großen Schaden zugefügt, daß sie ihn so jagen mußten, ihm über viele Jahre und lange Meilen — über das Meer — folgen mußten? Warum? Ein berstender Krach, das Splittern und Brechen von Holz, und dann ein dumpfer Aufprall, als die Tür aus ihren Angeln gerissen wurde und auf den Boden der Wohnung fiel. Ein Durcheinander von Geheul und Geschrei ertönte in der Diele.
Michael sprang auf. Im Türrahmen des Wohnzimmers stand eine langohrige Gestalt mit blinkenden Zähnen und glühenden Augen. Er rammte den Speer in das Wesen und spürte, wie die Klinge sich auf dem Stiel verschob. Aber die eiserne Klinge hatte ihren Zweck erfüllt, die Bestie stürzte rückwärts auf den Boden. Hinter ihm tauchten noch weitere Gestalten auf; ihr Gestank ließ ihn würgen. Er riß das andere Messer aus dem Gürtel; die Klinge funkelte in dem Mondlicht, das in Streifen durch die Jalousie fiel. Ein großer Kopf erschien über der Leiche des ersten Wolfes, warmer Sabber tropfte aus seinem Maul. Michael stieß noch einmal zu, verfehlte aber sein Ziel, weil die Bestie schnell zur Seite auswich. Ein Schlag traf ihn mit unglaublicher Wucht und schleuderte ihn quer durch den Raum. Das Messer fiel ihm aus der Hand.
Helle Blitze zuckten durch seinen Kopf, und die Luft wurde ihm aus der Lunge gepreßt. Etwas packte seinen Oberarm, zerfetzte den Ärmel und riß lange Wunden in das Fleisch. Rauhes Fell scheuerte über sein Gesicht, kratzte über seine Wange. Eine heiße, animalische Atemwolke umhüllte ihn. Die Zweige auf dem Boden stachen ihm in den Rücken. Zwei Augen, zwanzig Zentimeter vor seinem Gesicht. Große, gelbliche Kreise mit pechschwarzen Pupillen und dünnen roten Adern auf der gelben Netzhaut. Einmal zwinkerten die Augen langsam, und Michael konnte die lange Schnauze im Mondlicht sehen, den fahlen Schimmer der Zähne. Die Todesangst gab ihm Kraft. Er schrie aus vollem Hals, als sein ganzer Körper sich anspannte. An seinem dicken Hals traten die Sehnen hervor -wie zum Zerreißen gespannte Stränge. Er riß die Arme mit aller Kraft hoch, einer Kraft, die durch die Angst verstärkt wurde. Seine Handkanten trafen den Wolf an der Kehle. Er spürte, wie unter seinem Schlag etwas nachgab, hörte ein dumpfes Knirschen, und dann fiel die Bestie zurück. Luft strömte in seine Lungen, und er erhob sich schnell; die Geschmeidigkeit des alten Jägers war noch nicht ganz von ihm gewichen. Die anderen stürzten sich auf ihn. Automatisch rannte er auf das Fenster zu. Adrenalin beflügelte seine vernachlässigte Beinmuskulatur. Er traf auf die Jalousie und spürte, wie ihm die scharfen Aluminium-Streifen in Arme und Schultern schnitten. Dann das Glas, tiefere, schmerzhaftere Schnitte. Er war gewichtslos, sein Magen drehte sich um, und in seinen Ohren klang das wahnsinnige Geheul seiner Angreifer, voller Wut, Enttäuschung — und Angst?
Das ist also das Ende, dachte er, und im Fallen lächelte er. Während er fiel,
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