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Der magische Wald

Titel: Der magische Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Kaerney
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erkennen, gewandt wie ein Otter. Sie könnte eine Fee sein, dachte Michael. Sie braucht nur noch Flügel. Eine Wasserfee. Gab es so etwas? Schließlich tauchte sie wieder auf. Das Wasser reichte ihr bis zur Taille, und Tropfen rannen wie flüssiges Feuer über ihre Haut. Als sie die Arme hob und sich grinsend die Haare aus dem Gesicht wischte, wirkte das sonnenbeschienene Wasser, das von ihren Schultern tropfte, wie zwei durchsichtige Flügel, und Michael gluckste fröhlich. Aber dann wurde sein Blick von etwas anderem angezogen, glitt hinüber zu den Bäumen dicht neben der Brücke. Eine Bewegung, ein heller Fleck. Ein Gesicht verschwand schnell im Schatten. Jemand beobachtete sie. »Rose!« rief er und hob seinen Arm, um ihr die Richtung zu zeigen. Die andere Hand glitt von seinem Rettungsanker aus Eichenholz, und er schwamm ohne Halt nein, sank ohne Halt. Wasser drang in seine erstaunten Augen, und der kalte Griff des Flusses schloß sich behutsam um seine Stirn. Er schlug heftig um sich, strampelte mit den Beinen, zappelte nach Leibeskräften und spürte, wie er sich wieder nach oben bewegte. Dann packte ihn jemand an den Haaren und zog ihn daran an die Luft. Er schrie vor Schmerz. »Du kleiner Racker, Michael! Was sollte das denn? Was war überhaupt los?« Sie nahm ihn in die Arme, und später würde er sich noch oft daran erinnern, was für ein Gefühl das gewesen war. Das kalte Wasser, ihre Arme eng um ihn geschlungen, und an seiner Kniescheibe das Kitzeln des weichen Pelzes zwischen ihren Beinen. »Da war jemand, Rose. Jemand hat uns beobachtet, oben an der Brücke.« Kein Fuchsgesicht. Nur ein ganz normales. Ein echtes Gesicht, aber es war sofort wieder verschwunden. »Ach ja, tatsächlich?« Seltsamerweise lächelte sie, ein merkwürdiges, nach innen gerichtetes Lächeln. »Das macht nichts, Michael. Mir ist es egal, und du hast nichts, was versteckt werden müßte.« »Was ist so lustig?« »Du.« Sie ließ ihn los. »Dein Gesicht, kurz bevor du untergegangen bist. Ich dachte für einen Augenblick, der Hecht -zieht an deinen Zehen.« »Es ist nicht richtig, Leute zu belauern.« Besonders dann nicht, wenn sie keine Kleider anhaben, dachte er. Und dann war da ein merkwürdiges Gefühl unter seinem Bauch. Er blickte durch das klare Wasser hinab. »Rose!« Sie folgte seinem ungläubigen Blick, und ihre Augenbrauen hoben sich. »Na, so etwas! Du wirst langsam erwachsen, Michael.« Sie gab ihm einen Kuß auf die feuchte Nase. »Das ist schon in Ordnung. Ich glaube, wir ziehen uns jetzt besser an.«

KAPITEL VIER
    Erwachsen werden ... Schreckliche, furchteinflößende Wörter. Sie gehörten zu der gleichen Kategorie wie ›Zahnarzt‹ und ›Todsünde‹. Das Gefühl von Roses Umarmung und seine unerwartete Reaktion darauf. Diese schwindlig machende, Angst einflößende Erregung. Diese Dinge wirbelten ihm tagelang im Kopf herum, so daß er das Gesicht an der Brücke und die Fuchsgesichter am Fluß vergaß. Sie verschwanden irgendwo im Unterbewußtsein, wurden verwahrt, bis irgend etwas sie wieder ans Tageslicht bringen würde. Die Brücke zog ihn an. Ihn faszinierte die Tatsache, daß es nicht möglich war, das Tageslicht am anderen Ende zu sehen. Man hatte den Eindruck, als führe ein langer Tunnel in die Erde. Ein Ort für Kobolde, unterirdische Arbeitsplätze, Minen und Gruben. Aber es gab dort auch Wasser, den Fluß, baumtief und langsam dahinfließend. Die Bäume umrahmten die Stelle wie eine grüne Kathedrale; dicht am Ufer, als drängten sie sich an einer Wasserstelle — die Weiden und Erlen und etwas zurückgesetzt die Eichen und Linden. Lichtstrahlen fielen durch das Laubdach wie durch bunte Kirchenfenster und glänzten auf dem Wasser. Der Ort war gleichzeitig schattig und lichtdurchflutet, düster und schimmernd. Und im Zentrum dieser Umgebung klaffte das schwarze Maul der Brücke, finster wie ein Brunnenschacht. Um unter den Brückenbogen zu gelangen, mußte man entweder schwimmen oder sich ein Boot beschaffen. Michael konnte beides nicht, und so blieb die Finsternis unter der Brücke weiterhin ein magischer Platz in seinem jungen Leben, unergründlich wie der tiefste Graben im Pazifik. Der Fluß, die Brücke, die umliegenden Weiden — an diesen Orten verbrachte er seine Zeit, meistens allein, da Rose während der nächsten Wochen oft plötzlich verschwand, ohne eine Erklärung abzugeben. Scharfe Worte fielen zu Hause. Als Michael einmal ihr Zimmer betrat, saß sie auf dem Bett und weinte. Es war ein

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