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Der magische Wald

Titel: Der magische Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Kaerney
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Schock für ihn, ein Bruch im natürlichen Ablauf der Dinge. Er wollte sofort wieder hinausgehen und es vergessen, aber dann sah Rose zu ihm auf, und er umarmte sie unbeholfen und fühlte sich wie ein Betrüger. Er bemerkte, daß seine Großeltern und übrigens auch Tante Rachel aus irgendeinem Grunde böse auf Rose waren, und daß sie einen verstockten Kampf mit ihnen führte, aber das Wieso und Warum wurde ihm verheimlicht. Er bekam Gesprächsfetzten mit, wie »Schande über die Familie bringen« und »nicht einmal jemand ihres Standes«, aber das verwirrte ihn nur zusätzlich. Es war Tante Rachels Stimme, die solche Sachen sagte. Sie war wie ihre Mutter eine große Frau, Ende Zwanzig und damit zehn Jahre älter als ihre Schwester. Sie war nicht verheiratet, ein herber Typ, und bekam schon jetzt graue Haare. Michael hatte Photographien von ihr gesehen, die vor seiner Geburt aufgenommenwordenwaren,und darauf war sie ein lächelndes, dunkelhaariges Mädchen mit eckigen Schultern und einer schmalen Taille gewesen. In der einen Hand hielt sie ein Gebetbuch, die andere preßte sie auf einen breitkrempigen Strohhut, um zu verhindern, daß ein Wind aus einer älteren, schwarz-weißen Welt ihn ihr vom Kopf riß. Rose hatte ihm einmal mit bedeutungsvoller Flüsterstimme zugeraunt, daß »sie eine Liebesenttäuschung erlebt hat«.

    Bald kannte Michael die Warnsignale. Die Familie pflegte in der Küche das einzunehmen, das Michael ihre Kampfposition nannte; Rose mit leuchtenden Augen, voller Trotz, Rachel auf eine merkwürdige Weise in die Enge getrieben, seine Großmutter mitgenommen, ihr Ehemann müde. Der alte Mullan verschwand dann kopfschüttelnd aus dem Zimmer. Es war eine Sache der Erwachsenen, ein Sturm, der überstanden werden mußte. Dann kam die schreckliche Nacht, in der der Gemeindepfarrer erschien, grauhaarig und grimmig, seine schwarze Soutane schleifte über den Boden. Michael wurde nach oben ins Bett geschickt. Er war froh darüber, nicht dabei sein zu müssen. Während im Haus angespannte Stimmung herrschte, war draußen wochenlang das beste Wetter, das man sich vorstellen konnte. Auf den Feldern nahm die Gerste allmählich eine goldene Färbung an, und das Heu wurde von der Sonne gebleicht. Wegen des verregneten Frühjahrs konnte erst spät Heu gemacht werden, und Michaels Großvater war darüber sehr besorgt gewesen. Hunderte von Feldmäusen hatten ihre hängenden Nester in die Halme gebaut, ahnten nichts von der Apokalypse, die ihnen bevorstand. Pat wanderte mit einem zufriedenen Grinsen durch die Felder, zerrieb ab und zu eine Ähre zwischen den Händen und sichtete das Ergebnis mit prüfendem Blick. Zehn Acres feinste Gerste, vier weitere mit Heu — bald konnte Heu gemacht werden —, und auf den Weiden lag dick der Dung, den das Vieh freundlicherweise zur Verfügung gestellt hatte. Wenn man Sean glauben konnte, war es vielleicht das letzte Mal, daß die alte, pferdebetriebene Dreschmaschine für die Gerste benutzt wurde.

    Pat sprach mit Mullan darüber, ein Pferd zu kaufen, vielleicht auf einem der Herbstmärkte, »ein kleines, feines Gäulchen für die Kutsche«, während seine Frau wortlos zuhörte. Man konnte die Gefühlsduselei auch übertreiben. Mullan erzählte versonnen von einer britischen Transportkolonne, die er 1915 in Richtung Ypern hatte ziehen sehen; Tausende von großen, schweren Pferden in einer endlosen Reihe, die nur selten von einem Automobil unterbrochen wurde. Die Pferde zogen Transportwagen, Ambulanzen, Protzen und Geschütze. Und jetzt bekam man so etwas überhaupt nicht mehr zu Gesicht. Nur noch die verdammten Traktoren, die die Füße eines Mannes von der Erde trennten, ihn von der Scholle entfernten, die er bearbeitete. Heutzutage konnte man ein Feld pflügen, ohne auch nur einen Krümel Erde an den Stiefel zu bekommen. Und er schüttelte den Kopf, während er zusammen mit Pat ein Gläschen Warhorse trank, und sogar auf dem Gesicht von Michaels Großmutter lag ein gedankenvolles Leuchten, so daß Pat und Mullan sich heimlich angrinsten. Es war die Ruhe vor dem Sturm, und der Sturm war die Erntezeit, diese so angenehm arbeitsreiche, anstrengende Zeit des Jahres, in der die langen, endlosen Tage sich plötzlich zusammenzogen und kurz erschienen, in der die Männer manchmal bis in die Nacht hinein arbeiteten, während die Frauen ihnen riesige Sandwiches und kaltes Bier auf die Felder brachten. Sie arbeiteten im Licht von Sturmlaternen und richteten dabei immer wieder nervöse

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