Der magische Wald
Stahlhelm herunter und zog Linien in sein staubiges Gesicht. Seine kratzige Uniform war heiß und schweißgetränkt, hing verrutscht an seinem Körper, und die Schulterriemen schnitten in seine jungen Schultern. Die ausgedörrte Erde klebte an dem blauschwarzen, öligen Lauf seines Gewehrs und bestäubte den hölzernen Schaft, als beanspruche sie die Waffe für sich. In der Ferne dröhnten Geschütze. Agnes Fay, Michael Fays Großmutter, lag still und gerade wie ein gefällter Baum in ihrem Ehebett und begleitete Pats leises Schnarchen mit ruhigen Atemzügen. Sie träumte von Stiefeln. Stiefeln, die gegen die Tür des Hauses traten, in dem sie zu Hause war, und Männern, die diese Tür mit den Schultern einrannten. Sie trugen zweifarbige Uniformen, Polizeiröcke über khakifarbener Militärkleidung. Ihre Mutter in Todesangst, ihr Brüder kreidebleich, auf dem Sprung zu den Revolvern, die auf einem Stuhl lagen. Und sie hatte sich mit ihrem Hinterteil darauf gesetzt, so ruhig wie möglich, hatte ihre metallene Härte gespürt und sich nicht vom Fleck gerührt, während die Polizisten das Haus auf den Kopf gestellt hatten, und ihr Vater mit erhobenen Händen im Zimmer stand. Sie war fast noch ein Kind gewesen, hatte sich vor Angst fast naß gemacht, aber sie hatte durchgehalten, hatte mit ihrem Kleid die verräterischen Waffen verdeckt und damit ihre Brüder vor einer Kugel im Hinterhof gerettet. Sean träumte von Traktoren, die schnurgerade Furchen in die Äcker zogen und Rauchwolken in den blauen Himmel stießen. Dahinter wurden die Möwen von dem aus dem Boden schießenden Getreide verscheucht, und ein Mann kam mit einer Sense, deren Klinge funkelte wie die Sichel des Mondes. Pat träumte von Pferden und lächelte im Schlaf. Michael träumte nicht, denn er lag in Roses Armen. Seine jüngere Tante war wach und tastete nach einer Schwellung, die sich erst in ein paar Wochen bemerkbar machen würde. Ihre Fingerknöchel glitten über ihre Hüften, die schmal waren wie die eines Knaben, und sie fragte sich, wie es möglich sein konnte, daß ein neues Leben dort herauskommen würde, ohne sie umzubringen. Sie erinnerte sich. Er war bei ihr gewesen und hatte das feuchte Uhrwerk ihrer Monatsregel zum Stehen gebracht. Und sie war verdammt. Ein dunkelhaariger, gesichtsloser Mann hatte sie mit Glut erfüllt und sie in das kühle Laub gepreßt, während der Fluß in der Nähe vor sich hin rauschte wie das Blut in ihren Adern, und die Nacht dunkel und dicht aus den Bäumen stieg. Und jetzt schlug ein zweites Herz in ihrem Leib. Armer Thomas McCandless. Ungeschickt und eifrig wie er war, hatte sie ihn dafür verantwortlich gemacht, hatte ihn haben lassen, was er schon lange hatte haben wollen, und ihn dann als Vater genannt. Armer, tölpelhafter Thomas, mit rotem Gesicht hatte er an ihr herumgefummelt, zu ängstlich, ihr ins Gesicht zu sehen, aber gleichzeitig gierig wie ein Kind. Ein Protestant als Vater eines Bastards. Das dachten jedenfalls alle. Der richtige Vater war ein Reiter mit Kapuze gewesen, der vorbeigekommen war, und als sein Pferd in der Morgendämmerung aus der Flußsenke geklettert war, hatten die Hufe Erdschollen aus der steilen Böschung gerissen. Sie wollte ihn nicht wieder sehen, glaubte aber, daß das in dem Moment geschehen würde, wenn das Baby sie auf seinem Weg ans Licht zerreißen würde. »Seelen sind billig«, hatte er im Wegreiten gesagt, und sie glaubte, daß er dabei gelacht hatte. Auf dem regennassen Hinterhof glänzte das Pflaster, und aus den Regenrinnen gurgelte Wasser in die Regentonnen. Die Wölfe schlichen wie Gespenster über den Hof, bevölkerten Dämons Träume mit einem Gefühl von Angst und Vertrautheit, schnupperten dem Geruch der Tiere nach. Die Pferde legten in den Ställen die Ohren an, und auf den Feldern drängten sich die Schafe ängstlich zusammen, aber es geschah ihnen nichts. Die Farmkatzen spähten mit leuchtenden Augen aus trockenen Winkeln. Das Rudel schwärmte auf seiner lautlosen Suche durch die sternlose Nacht. Einmal legte einer eine Pfote auf die Hintertür. Dann trollten sie sich in Richtung der Wälder, wie leichtfüßige Phantome, die die Morgendämmerung fürchten.
KAPITEL FÜNF
Fünf Jahre vergingen. Rose kehrte niemals zurück, denn sie war tot. Die Nachricht sickerte zu Michael ungefähr sieben Monate nach ihrer überstürzten Abreise durch. Sie war nachts von einem Priester und zwei ernsten Nonnen abgeholt worden, und angesichts ihres bleichen Gesichts hinten
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