Der magische Wald
Schulter vor ihnen auftauchte. Michael hörte Gespächsfetzen. »... irgendein Hund, ein riesiges Biest.« ;; »... müssen nach den Schafen sehen.« »... das ganze verdammte Haus aufgeweckt.« »... Rachel fast zu Tode erschreckt.« Und die drei lachten im unsteten Licht der Laternen. Sean drehte sich um und winkte Michael zu. Das schwarze Haar fiel ihm in die Stirn. »Habt ihr ihn erwischt?« rief Michael. »Er ist entwischt«, sagte Mullan und tätschelte das Schrotgewehr. »Aber ich habe ihm einen Höllenschreck eingejagt, soviel ist sicher. Es war nur ein Streuner, Mike. Geh wieder ins Bett.« Das tat er, aber nicht ohne vorher den Schädel in der untersten Ecke seines Kleiderschrankes eingeschlossen zu haben. Die Männer hantierten noch eine Weile im Hof herum, sahen nach den Pferden. Er hoffte, daß keiner von ihnen sich vor der Morgendämmerung allzu weit von der Farm entfernte. Es war Michaels Monster, aber wenn sie es sehen konnten, dann konnte es vielleicht ... Möglicherweise war es auch für sie real. Ein Werwolf, der durch die Gegend schlich. Er schloß das Fenster, zog den Vorhang zu und sehnte sich nach dem Sonnenaufgang. Es war natürlich zwecklos zu versuchen, seinen Großeltern zu erklären, daß es kein Hund gewesen war, der in der Nacht auf dem Hof gewesen war. Er setzte dazu an, aber er war noch nicht weit gekommen mit der Beschreibung des Wesens, das er gesehen hatte — und zwar deutlicher als sonst jemand —, als sein Großvater nachsichtig zu lächeln begann und Großmutters Gesicht einen verärgerten Ausdruck annahm. So nahm seine Erklärung ein schmähliches und stotterndes Ende. Als er das Zimmer verließ, hörte er noch, wie seine Großmutter sagte: »Der Junge hat eine Phantasie ... ist zuviel allein ... brauchte einen Spielgefährten in seinem Alter.« Er saßdanninder Schule unddachtean Wölfe, an den Schwarzen Reiter, den er zweimal gesehen hatte, an Rose ... an das Mädchen im Wald, das ihm den Weg nach Hause gezeigt hatte. Die Zeit verging in ihrem gewohnten Lauf, ungerührt von den seltsamen Begebenheiten, die sich ereigneten. Michaels atemberaubendes Wachstum verlangsamte sich, er ging jetzt mehr in die Breite, wirkte nicht mehr so sehr wie eine Vogelscheuche. Sein Großvater musterte ihn eines Abends wohlwollend, als Großmutter ihn ein paar von Seans alten Kleidern anprobieren ließ, und fragte ihn augenzwinkernd, wo er denn noch hinwachsen wollte. Für eine Weile erlebte er kaum noch etwas, das für ihn Bestandteil der Anderen Welt zu sein schien, und sein Leben kehrte in alltägliche Bahnen zurück. Doch gelegentlich sah er abends eine dunkle Gestalt am Waldrand, manchmal zu Pferd, manchmal zu Fuß. Er wagte sich nie näher heran und konnte daher nicht sicher sein, um wen es sich handelte. Und manchmal, wenn er allein im Wald war, fühlte er sich beobachtet, so als wäre da ein Gesicht hinter ihm, das er erblicken könnte, wenn er sich nur schnell genug umdrehen könnte. Langsam gewöhnte er sich an den Gedanken, daß er selten wirklich alleine im Wald war, besonders dann nicht, wenn er in der Flußsenke oder in der Nähe der Brücke war. Manchmal fragte er sich, ob es Roses Geist war, den er wahrnahm, aber er glaubte nicht, daß er diesen so deutlich bemerken konnte. Er konnte sich nicht vorstellen, daß ihr Geist Äste knacken lassen oder kichern würde, wenn er ihn beobachtete, so wie das Wesen es tat, dessen Gegenwart er manchmal spürte. Er mußte wieder an das gertenhafte, dunkelhaarige Mädchen denken, das ihn vor den Wölfen gerettet hatte. Zwischen ihm und Tante Rachel wurde so etwas wie ein wortloser Waffenstillstand geschlossen. Roses Name fiel nie wieder im Haus. Es war, als hätte es sie nie gegeben. Ihr Zimmer wurde leergeräumt, ihre Sachen in Kisten auf den Speicher gebracht und ihre Kleider der Kirche geschenkt. Sie wurde ein Tabuthema. Die Leiche im Keller. Der Sommer kam wieder, und durch irgendeinen obskuren Handel gelang es Pat, einen großen, glänzenden Kastenlastwagen für Pferdetransporte für einen Tag auszuborgen. Es war ein monströses Gefährt, das die ganze Familie in Erstaunen versetzte. In den Handel eingeschlossen war ein ölverschmierter, Pfeife rauchender Fahrer mit einer Schlägermütze, der Aloysius hieß, oder Ally für seine Freunde. Und wir sind alle Freunde, versicherte er ihnen, nickte bestätigend, zwinkerte, und warf Rachel einen Seitenblick zu, der ihre Aufmerksamkeit erregte. Nachdenklich umklammerte sie die Thermosflasche
Weitere Kostenlose Bücher