Der magische Wald
irgend etwas gesehen?« Michael hätte fast losgelacht. Womit soll ich anfangen? fragte er sich. Aber nein. Dafür war es zu spät. Es hatte einmal einen Zeitpunkt gegeben, an dem er Mullan hätte einweihen können, aber jetzt war es zu spät. Er war sicher, daß Rose irgendwie mit dieser Sache zu tun hatte, und er wollte ihren Namen heraushalten, obwohl es bei Mullan leichter wäre, über sie zu sprechen, weil er ein Protestant war und nicht zur Verwandtschaft zählte. Es war schon merkwürdig.
»Nichts«, sagte er kurz. »Was ist mit dem Schädel, den du ausgegraben hast? Deine Großmutter sagt, es ist ein riesiges Ding.« »Es war nur ein Hundeschädel. Wahrscheinlich einer von den Farmhunden, die man unten am Fluß begraben hat.« Er fühlte, wie ein Frösteln ihm den Rücken hinunterlief als er an den Schädel dachte. »Ach so.« Mullan schien nichts mehr dazu einzufallen. Er bleckte für einen Moment die Zähne um den Pfeifenstiel herum. »Weißt du, ich frage nur, weil mir die Sache seit einer Weile wieder durch den Kopf geht. Irgend etwas ist in den Wäldern, das die Schafe erschreckt. Sie bleiben auf dem südlichen Teil der Grundwiese. Dort haben sie das Gras bis auf die Wurzeln abgefressen. Auf der Seite, die an den Wald grenzt, gibt es noch genug gutes Gras, aber sie gehen nicht dort hin. Dein Großvater kann das nicht verstehen. Er und ich überlegen, ob wir uns nicht ein paar Nächte lang dort auf die Lauer legen sollten. Vielleicht können wir dann den Störenfried erwischen.« »Nein, das könnt ihr nicht.« Die Worte waren heraus, bevor Michael sie stoppen konnte. »Warum nicht, Mike? Sag es mir. Du weißt etwas darüber, das ist offensichtlich.« »Nein. Ich weiß gar nichts. Wäre es nicht besser, Fallen aufzustellen, als die ganze Nacht dort herumzusitzen?« »Da könntest du recht haben«, sagte Mullan. »Wir brauchten eine verdammt große Falle, um den Hund zu fangen, der nachts im Hof war. Wenn es überhaupt ein Hund war.« Michael warf ihm einen scharfen Blick zu, aber der alte Mann hatte die Augen zusammengekniffen, war in Gedanken verloren.
Sie kamen jetzt zu einem langen, menschenleeren Strandabschnitt, und Mullan ließ die Pfeife in seiner Tasche verschwinden. Er preßte seinem Pferd die Absätzeindie Rippenund sporntees wortlos an. Sofort schoß Fancy wie eine braune Rakete davon, wirbelte lange Sandfontänen auf. Der alte Mann beugte sich dicht über ihren Hals und rief Michael etwas zu, der auf Felix' Rücken durchgeschüttelt wurde, als das Kutschpferd langsam in Trab verfiel und dann losgaloppierte. Sein Rücken hob und senkte sich wie ein Schiffsdeck in schwerer See. Die Luft pfiff Michael um die Ohren, als Felix langsam schneller wurde. Er lenkte das Pferd auf den festen Grund direkt am Wasser und dann spritzte Wasser unter Felix' Hufen. Vor ihnen war Fancy schon bis zu den Fesseln im Wasser, ein Seepferdchen, das schrill wieherte, während Mullan jubelte wie ein kleiner Junge. Wasserfontänen stiegen um sie herum hoch, als sie schnurgerade durch die Wellen galoppierten.
Sie ritten aus dem spritzenden Wasser des Flusses ans Ufer, und die braune Stute mußte kämpfen, um die steile Böschung hochzukommen. Das flache Land erstreckte sich weit vor ihnen und senkte sich dann in einen endlosen bewaldeten Hang, der dunstig in der Nachmittagssonne lag. Direkt vor ihnen befand sich eine kaum hundert Meter breite Lichtung. Zwischen den Bäumen stieg blauer Rauch aus strohgedeckten Häusern. Eine Glocke klang durch die Stille, und Männer in braunen Kutten unterbrachen ihre Arbeit, um die Neuankömmlinge zu beobachten. Michael rutschte von dem erschöpften Pferd. Cat gähnte und klammerte sich weiter an den Sattel. Um ihn herum schoben sich Ringbone und seine Männer geräuschlos aus der Waldsenke. Die schwarzen Augen ihrer Masken funkelten in der Sonne. Die Männer betasteten nervös ihre Speerschleudern. Ihre großen Augen leuchteten weiß aus den bemalten und verschmutzten Gesichtern. Ringbone legte Michael eine Hand auf die Schulter und blickte ihn fragend an, fragte ihn in der Waldsprache, ob dieser Ort sicher sei. Seine drei Begleiter blieben murmelnd im Hintergrund. Eine Christenglocke und Männer in Kutten. Das war zweifellos eine Ansiedlung der Brüder. Michael nickte und machte eine ermutigende Geste. Es war zum verrückt werden, wie sehr er die Waldsprache vergaß, je mehr sie sich dem Ende des Waldes näherten. Ringbone war auch enttäuscht darüber. Sie hatten soviel
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