Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der magische Wald

Titel: Der magische Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Kaerney
Vom Netzwerk:
hin — mit Cat an seiner Seite. Nachts träumte er von ihr, von dem Druck ihrer Finger an seiner Schulter und vom rhythmischen Miteinander ihrer Körper im Laubbett unter rauschenden Bäumen. Der Oktober ging ins Land, und dunkel und feucht betrat der November die Bühne. Michael empfand den Oktober immer als einen schönen Monat, eine bunte Abfolge von warmen Tagen mit den ersten Zeichen einer frischen Kälte und dem Ende der langen Tage. Ein Vorbote des Kommenden, aber ein wohlwollender.

    November war ein dunkler Monat, ein kalter Monat, in dem mit den ersten Schneefällen gerechnet werden mußte. Michael sah ihn als das Ende des Jahres an, als eine merkwürdige Zwischenphase, die nicht vor Weihnachten -oder Winteranfang, je nachdem wie man es sah — enden würde. Im November setzte die richtige Kälte ein, begannen die Tage, in denen der Weg zur Schule ein kalter Leidensweg war. In der Nacht eines solchen Tages lag Michael in seinem Bett und lauschte dem Wind, der über die Giebel des Hauses strich. Seit dem Nachmittag war es stürmisch gewesen, und als er sich durch die Böen von der Schule nach Hause gekämpft hatte, war er vollkommen durchnäßt von den Regenschauern, die der Wind vor sich herpeitschte. Seine Wangen glühten, und die Schulbücher wurden vor Feuchtigkeit wellig. Jetzt lag er im Warmen, das Bettzeug bis unter das Kinn gezogen, und betrachtete durch das Fenster am Fußende des Bettes das Schimmern der vorbeiziehenden Wolken über den schwarzen Schatten der Farmgebäude. Ein rechteckiges Lichtmuster fiel durch die Ritzen in der Tür eines der Gebäude -wahrscheinlich Mullan, der sich um Fancy kümmerte, sie mit einem Büschel Stroh abrieb. Sie schwitzte immer in stürmischen Nächten. Die anderen Gebäude lagen im Dunkeln. Der Wind fegte über die Farm, heulte um die Dächer und ließ die Balken knacken. Er zerrte an Michaels Fenster, versuchte hineinzugelangen und drehte sich in merkwürdigen Luftzügen über den Boden des Zimmers, denn dies war ein altes Haus, das mit den Jahreszeiten auf vertrautem Fuß stand. Es schien mit dem Wind einen Kompromiß abgeschlossen zu haben, ließ kleine Windwirbel und Zugluft hinein, stemmte sich aber wie ein Fels den schlimmsten Böen entgegen. Wenn Michael die Augen schloß, konnte er sich vorstellen, daß er sich auf hoher See befand, auf einem sturmumtosten Schiff, dessen Rumpf durch die mächtigen Wogen ächzte, aber nicht nachgab, während der Wind die Masten bog. An der Leeseite toste eine weißschäumende, mörderische Brandung gegen eine unbekannte Küste. Dieses Geräusch aber entstammte nicht seiner Einbildung: ein heftiges Pochen ganz in der Nähe und das Klirren des Fensters. Er setzte sich auf, und wurde sofort von dem gleißenden, silbrigen Mondlicht geblendet, das durch das Fenster flutete. Der Halbmond war mittlerweile aufgegangen, und die Wolken rasten an ihm vorbei. Draußen auf dem Fensterbrett war ein dunkler Umriß, eine Gestalt, die eine Hand gegen die Scheibe preßte. Zwei grüne Lichter funkelten aus einem Gewirr von kapuzenähnlichem Haar. »Laß mich rein, Michael!« »Jesus!« Wieder ein Schlag mit der offenen Hand gegen die Fensterscheibe. Die Gestalt drehte den Kopf, um in den Hof hinunterzublicken, und er erkannte das vertraute Profil. Das Mondlicht schien aus ihren Augen zu funkeln wie das Licht einer Lampe, das sich in den Augen einer Katze widerspiegelt. »Michael, bitte! Sie sind hier, unter mir. Sie riechen mich. Laß mich rein!« Er war wie gelähmt. Sie kauerte auf dem Fensterbrett wie ein zum Sprung geducktes Tier, und der schreckliche Glanz in ihren Augen ließ sie wie die eines Untiers leuchten. Das Mondlicht gab ihrem Gesicht einen wilden Ausdruck, verursachte ein Wechselspiel von Hell und Dunkel, um das herum die Haarsträhnen flogen. »Bitte!« Das Flehen in ihrer Stimme löste den Bann. Er sprang nach vorne über das Bettzeug und fingerte an dem Fensterriegel herum. In dem Gesicht, das nur ein paar Zentimeter vor ihm auf der anderen Seite der Scheibe war, lag Anspannung und Furcht — aber auch noch ein anderer Ausdruck. Triumph? Er schob das Schiebefenster mit einem Ruck nach oben, und sofort fegte ein heftiger Windstoß in das Zimmer. Cat sah ihn aus ihren brennenden Augen eindringlich an.

    Es gibt Schlimmeres als Sünder auf der Welt.

    Warum hatte er plötzlich eine solche Angst, warum überlief es ihn heiß und kalt, und warum hockte sie noch immer auf dem Fensterbrett, als würde sie jeden Moment abstürzen?

Weitere Kostenlose Bücher