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Der magische Wald

Titel: Der magische Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Kaerney
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wenn er nach Hause kam, so daß er sich immer mehr eingesperrt und umzingelt vorkam. Um sich instinktiv selbst zu schützen, tat er stumpfsinnig, was man ihm auftrug. Manchmal fragte er sich, ob Cat einen Fluch über ihn gelegt hatte. Sie war verschwunden und hatte ihn allein gelassen. Es gab kein Zeichen von ihr am Fluß oder an der Brücke, und der Wald war leer. Vielleicht hat es etwas mit der Jahreszeit zu tun, überlegte er, es schien überhaupt kein Leben mehr im Wald zu geben. Viele Vögel hatten sich nie dorthin verirrt, aber es hatte immer Spuren anderer Waldbewohner dort gegeben — Kaninchenkot, von Eichhörnchen geknackte Nüsse, Gewölle von Eulen und die Hufspuren und Pfotenabdrücke natürlich. Jetzt gab es dort nichts mehr als den Wind, der immer heftiger wurde. Das Dach von Michaels Hütte war eingefallen, und die Scheite in seiner Feuerstelle waren schwarz, steinhart und kalt. Etwas anderes jedoch war auffällig. Die Hütte war nicht von selbst eingestürzt, sondern eingerissen worden; die Stützpfosten waren zerbrochen und zersplittert. Und auf dem Boden neben der Hütte war ein undeutlicher Fußabdruck, dem Fuß eines Menschen ähnlich, aber mit Klauen an den Zehen und ohne die Krümmung zwischen Ferse und Fußballen — ausgepolstert, wie die Pfote eines Hundes. Michael richtete sich auf, nachdem er die Untersuchung des Abdrucks beendet hatte, und starrte zwischen die Bäume. Sie waren schon fast kahl, und der Wald war voll fallender Blätter. Er spürte, daß er nicht allein war, daß ihn da draußen jemand beobachtete. Jemand, der ihm nicht freundlich gesonnen war, der ihm übelwollte. Er traute dem Gewehr nicht mehr als Verteidigungsmittel, nicht nach der Nacht, in der er im Wald auf dieses Wesen geschossen hatte, und danach hören mußte, wie es sich unversehrt entfernte. Hier herrschten andere Gesetze. Dies war ein weiterer Grund, nach Cat Ausschauzuhalten. Er mußtemehr wissen, Dinge, die er in den Büchern nicht gefunden hatte. Zum Beispiel, wie man Werwölfe bekämpft. Wie man das Böse vertreibt. Die Erde drehte sich langsamer, ging einer dunkleren Jahreszeit entgegen. In den Hecken hingen taunasse Spinnennetze wie Perlenschnüre, und die Tropfen funkelten im Morgenlicht wie aufgereihte Edelsteine. Der September verstrich, Laub fiel von den Bäumen, und die ersten Vorboten der Kälte legten sich über die Welt. Bald war es morgens frostig, und weißer Rauhreif ließ das Gras unter den Schuhen knistern. Michael ging zur Schule. Im Klassenzimmer standen den Kindern weiße Atemwolken vor dem Mund, bis ihre Körperwärme und der Ofen einen angenehmen Mief entstehen ließ. Der Oktober kam, und die Kälte packte Michaels schläfrige Glieder, wenn er sein Bettzeug zurückwarf; das Wasser in der Waschschüssel war eiskalt. Die ersten Feuer brannten tagsüber im Haushalt, wurden zuerst zögernd angefacht, dann mit beständiger Routine, als der Kälteeinbruch nicht vorüberging. Michael liebte diese Morgen, wenn er zu seinem Porridge in die große Küche hinunterkam, wo viele Menschen am Tisch saßen und sich unterhielten, während die Flammen rot und freundlich in der offenen Feuerstelle loderten. Danach draußen spürte er die frische Kälte der Luft, die die Gerüche des Schulwegs wie gefroren festzuhalten schien: Melasse und Kreosot, Dung und Heu, Hafer und Pfeifenrauch. Sie durchzogen den Morgen wie eine Parfümmischung, und über allem lag schwach der Geruch der Kälte, nach fallenden Blättern. Herbst, und in seinem Gefolge der Winter. Für Michael war es ein Verbrechen, solche Morgen in der Schule zu verbringen. Unruhig wand er sich und zappelte auf seinem Stuhl, stieß lautlose Flüche aus und konnte bald keinen klaren Gedanken mehr fassen. Wenigstens einmal in der Woche bekam er Strafarbeiten auf, weil er nicht richtig aufpaßte, aber das war immerhin angenehmer, als einen Brief an seine Eltern mit nach Hause nehmen zu müssen. Rachel behielt ihn dann am Küchentisch und beobachtete ihn wie ein gut genährter Habicht, bis er die Aufgaben mit den blöden Buchstaben, die Zahlen darstellen sollten, gelöst hatte. Danach war es natürlich schon dunkel, und der Tag war vorüber. Er konnte sich in den Hinterhof vor die Tür stellen, durch die ihm Licht aus dem Haus in den Rücken fiel, und dem entfernten Rauschen des Flusses lauschen, dem Ruf einer Eule, dem Schrei der vorbeisausenden Fledermäuse, die einen letzten Flug vor dem Winterschlaf unternahmen. Dort draußen gehörte er eigentlich

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