Der magische Wald
oder fern im Wald Gelächter hörten. Die Wyrims wachten über ihn, sagten sie. Und sie priesen ihn glücklich dafür. Er fand gelegentlich Dinge, wenn er im Wald unterwegs war — einen Strauß wilder Stiefmütterchen, einen Fasan, der an einem Ast hing, einen zum Kreis gewundenen Zweig, ein paar Elsterfedern -, und er wußte, daß Mirkady sein Wort hielt. Das Waldvolk war da draußen, beobachtete ihn und Cat, die schließlich fast eine von ihnen war. Einmal sah er den Schwarzen Reiter, als er in der dunklen Stunde vor der Morgendämmerung auf der Jagd war. Er saß unbeweglich auf einer Lichtung unter den verblassenden Sternen, sein Pferd wie eine schwarze Statue unter sich. Werwölfe duckten sich vor ihm am Boden, und Krähen kreisten um seinen kapuzenverhüllten Kopf. Michael hatte sich zitternd davongeschlichen. Er war also nicht verschwunden. Er würde nie verschwinden. Die geheimnisvolle Nabelschnur, die ihn mit ihm verband, war noch nicht durchtrennt worden.
So verging die Zeit, unmerklich und ohne besondere Ereignisse. Er verlor das Gefühl für den Ablauf der Monate, empfand aber eine merkwürdige Unruhe. Etwas fast Vergessenes nagte in seinem Unterbewußtsein, und als der Schnee schmolz, die ersten Knopsen erschienen und Vbgelgezwitscher wieder den Wald erfüllte, verstärkte seine Unruhe sich. Er mußte weiterziehen und sich dem Kern der Sache nähern. Er war immer noch überzeugt davon, daß seine Tante Rose hier irgendwo war; vielleicht in dem Schloß des Schwarzen Reiters, von dem Mirkady gesprochen hatte. Sein Auftrag ließ ihn nicht mehr los. Die Männer des Stammes trafen sich in der größten der Hütten, um zu beraten, wie es im Frühjahr weitergehen sollte. Die Hütte war überfüllt, es roch nach Rauch und ungewaschenen Körpern, aber von den dicht gedrängten Männern ging eine angenehme Wärme aus. Die Flammen eines kleinen Feuers gaben das einzige Licht. Cat war auch da, dicht an Michaels Seite gedrängt. Einige der jüngeren Männer, halbe Kinder noch, um die Wahrheit zu sagen, hatten keinen Sitzplatz mehr gefunden, und standen an den Wänden der Hütte, die Köpfe wegen der niedrigen Decke eingezogen. Borkenstücke und Lehmbröckchen fielen unablässig aus der Decke; die Mäuse waren mit dem Wechsel der Jahreszeit wieder aus ihren Löchern aufgetaucht. Ringbone hielt das für ein gutes Zeichen. Es bedeutete einen milden Frühling, ein ertragreiches Jahr. Die Männer waren hagerer als je zuvor, undihreKöpfe wirkten im Lichtdes Feuers fast wie Totenschädel. Die Augen lagen tief in ihren Höhlen, die Wangenknochen standen vor. Es war kein besonders harter Winter gewesen, aber so nah am Herzen der Natur litten alle Lebewesen in der dunklen Jahreszeit. Früher hatte Winter für Michael einmal Schneeballschlachten und Schlittenfahren bedeutet, und danach war er im Dunklen nach Hause gekommen, zu heißem Kakao und einem glühenden Ofen. Jetzt bedeutete der Winter mehr. Er spürte die Jahreszeit in den Knochen, in den Linien, die seine Rippen unter der Haut zeichneten. Er konnte sie in Cats eingesunkenem Gesicht sehen. Und mindestens drei der sehr alten und sehr jungen Stammesangehörigen hatten sie nicht überstanden. Das war der Lauf dieser Welt. Die Beratungen verliefen völlig demokratisch. Die Männer wußten, daß Ringbone der Mann war, der am besten wußte, wo die Ritter sich wahrscheinlich aufhielten und wie sie sich nach der Schneeschmelze verhalten würden. Semuin war der beste Jäger, er kannte alle Tierpfade, die Wanderungen der Hirschrudel waren wie auf einer Landkarte in seinem Kopf verzeichnet. Der alte Irae kannte die Orte, die man am besten mied, weil sie den Wyrims heilig waren. Er wußte, welche Opfer dem Waldvolk gebracht werden mußten, um ihre Grenzen und Gebiete sicher überqueren zu können, und er schien ein wenig ungehalten über Cats Anwesenheit zu sein, weil sie über diese Dinge wahrscheinlich besser Bescheid wußte als er. Niemand erteilte einem anderen Befehle. Es gab nur Vorschläge, die angenommen oder abgelehnt wurden. Alle denkbaren Gesichtspunkte wurden erörtert, nach und nach äußerten die erfahrensten Männer des Stammes ihre Meinungen. Die Ritter würden bald in großer Zahl ausrücken, um die Zerstörer des Dorfes aufzuspüren. Das Fuchsvolk konnte daher in diesem Frühjahr keinen Handel mit den Dörfern der Umgebung treiben, sondern mußte in die wildreicheren Wälder des Südens ziehen, auch wenn das bedeutete, daß man näher an den Wolfswald
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