Der magische Wald
reisen.«
KAPITEL DREIZEHN
Reisen. Sie waren schon lange unterwegs, so lange, daß es schien, er habe nie etwas anderes getan, als sich unter Bäumen aufgehalten, nachts ins Feuer gestarrt, den harten Boden unter seinem Rücken gespürt und rußbeschmiertes Fleisch gegessen. Eine lange Zeit -lang genug, um den Geruch des brennenden Dorfes und die Rache der Ritter weit hinter sich zu lassen. Lang genug, um die jugendliche Weichheit aus seinem Gesicht verschwinden zu lassen und den Muskeln seines einst schlaksigen Körpers neue Proportionen zu verleihen. Zügel, Messergriff und Schwertknauf hatten Hornhaut auf seine Handflächen gebracht, und seine Schultern waren breiter geworden.
Ringbone brachte ihm viel bei: einen Weg durch dichten Wald zu bahnen; Tierfährten zu erkennen; Anpirschen. Töten. Und so wie nach und nach immer mehr Wörter der Waldsprache in Michaels Bewußtsein auftauchten, so wuchs er mehr und mehr in die Welt des Wildwaldes hinein. Er eignete sich die Verhaltensweisen in der Wildnis an und stellte dabei fest, daß die meisten von ihnen schon in ihm geschlummert hatten, genau wie die Sprache. Eine verborgene Knospe blühte auf. Er sah es und lernte; und dabei alterte er. Das schnell wachsende Haar an seinem Kinn lenkte seine Aufmerksamkeit auf diesen Umstand. Ringbones Leute waren nach alter Stammessitte immer glattrasiert und kurzgeschoren, und so herrschte kein Mangel an Steinklingen und Gänsefett, um sich zu rasieren. Aber sein Bart wuchs immer schneller, wurde dicht, borstig und kratzig. Schließlich ließ er ihn wachsen, obwohl Cat dagegen war, und verwandelte sich noch vor seinem vierzehnten Geburtstag in einen bärtigen Mann. Das erschreckte ihn, aber Cat weigerte sich, mit ihm darüber zu sprechen. Bei dieser Gelegenheit erzählte sie ihm die Parabel von der Zeit und dem See. Er fragte sich, ob die Zeit wirklich so unerschöpflich war, ob nicht dieser Ort hier ihm die Jahre entriß. Sie folgten Ringbones Stamm auf seiner Jagd hinter dem Wild her durch die Jahreszeiten. Er erlebte, wie der Morgenfrost dem Schnee wich, der den tiefen Wald in ein unberührtes, einfarbiges Wunderland verwandelte, in dem weiße Eulen auf nächtliche Jagd gingen, und Wölfe mit eisverkrusteten Fellen durch die Schneewehen pirschten. Er erlegte einen Bären — ein denkwürdiger Tag —, und aus dem Fell entstand Kleidung für Cat und ihn. Er holte Eichhörnchen aus ihren Nestern, grub Kaninchen aus ihren Höhlen und schnallte den Gürtel in der unergiebigen Jahreszeit enger. Rinebones Volk verbrachte den Winter an einem halbzugefrorenen Fluß, weit entfernt von irgendwelchen Dörfern, Kirchen oder Stationierungsorten der Patrouillenritter. Hier errichteten sie Unterkünfte aus Ästen, Fellen, Grassoden und allem möglichen anderen Material, was sie zu Händen hatten. Die entführten Frauen aus dem niedergebrannten Dorf fügten sich überraschend gut in ihr neues Leben. Sie lernten von den Frauen des Stammes — von denen einige selbst bei vergangenen Raubzügen entführt worden waren. Sie räucherten Fleisch, gerbten Felle, sammelten Feuerholz und holten Wasser, ohne sich zu beklagen, obwohl es immer kälter wurde, als die Tage kürzer wurden. Die Wölfe strichen nachts um die Hütten herum, und einmal schoß einer durch eine offene Tür und schnappte sich ein schlafendes Kind. Die Tiere des Waldes hatten auch Hunger. Doch es gab noch andere Wesen in dem verschneiten Wald. Die Männer versammelten sich in der größten Hütte um das Feuer, schmiedeten Pläne für das Frühjahr und erzählten lange Geschichten von vergangenen Wintern, aus der schrecklichen, finsteren Zeit. Vor vier Wintern war ein Werwolf in ihr Dorf geschlichen und hatte eine Frau getötet. Sie hatten ihn bis in den Frühling hinein verfolgt, und bevor sie ihn mit Speeren töteten, deren Klingen mit Wolfsmilch vergiftet waren, hatte er Fuinos gebissen. Fuinos hatte noch gelebt, aber Werwolfblut lief schwarz durch seine Adern, und als er sich verwandelte, mußten sie ihn töten. Danach hatten sie aus Respekt vor dem Mann, der er einmal gewesen war, die Bestie, in die er sich verwandelt hatte, gefressen und deren Überreste verbrannt. Es hatte auch andere Probleme gegeben. Einmal war ein großer Trupp Ritter erschienen, um die Stämme nach Süden in die verwunschenen Wälder zu treiben, und Ringbones Leute standen schließlich mit dem Rücken zu einem Fluß. Um ihn überqueren zu können, mußten sie mit einem Troll verhandeln, der die Furt
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