Der magische Wald
vorsichtig auf die gefrorenen Nadeln des Waldbodens und zog seinen Dolch. Er wünschte, er hätte das Ulfberht mitgenommen. Eisen konnte ihm hier vielleicht nützlicher sein als Bronze. Nichts. Er stand in zweihundert Meter Entfernung vom Lager in der pechschwarzen Nacht. Über ihm funkelten schweigend die Sterne, und blasse Atemluft stieg vor seinem Gesicht auf. Er benahm sich wie ein Anfänger. Warum war er nicht in der Wärme neben Cat liegengeblieben? Die Kälte schlug ihm auf die Blase, und er pinkelte gegen den Stamm des nächsten Baumes. Dampf stieg auf, und das Plätschern drang laut durch die Stille. Dann sah er es: ein Umriß vor ein paar helleren Zweigen. Die Ohren ragten wie spitze Hörner in die Luft, darunter leuchteten zwei Augen. Der Schatten kam leise auf ihn zu, im schwachen Licht der Sterne erkannte er die lange Schnauze, das Maul mit den vielen Zähnen, die wulstigen Stirnknochen und das dichte Fell auf dem riesigen Kopf. Loses Fell hing ihm unter dem Kinn bis auf die Brust. Michael spürte die massige Kraft des Wesens, das schwarz zwischen den Bäumen aufragte. Dann richteten sich die unheilvollen Augen auf ihn und verengten sich zu kleinen, glühenden Punkten. Unwillkürlich trat er einen Schritt zurück, hilflos vor Angst. In den Augen lag soviel Boshaftigkeit, soviel konzentrierter Haß und Gier, daß er den Blick fast wie einen körperlichen Stich empfand. Als die Bestie auf ihn zu sprang, schrie er aus vollem Hals, drehte sich um und rannte davon. Der Wald flog an ihm vorbei. Dornenranken griffen nach seinen Beinen, und niedrige Äste fegten durch sein Gesicht. Er fühlte sich, als habe er keinen Bodenkontakt mehr, als flöge er, als treibe irgendein seltsamer Sturm ihn vor sich her.
Keuchend atmete er die kalte Luft ein und aus. Er hörte ein schreckliches, knurrendes Heulen an seiner Schulter und sah im gleichen Augenblick die roten Lichter der Lagerfeuer vor sich. Der Wachtposten stellte sich ihm rufend in den Weg. »Wyrwulf« brüllte Michael, und dann fetzte ein heftiger Schlag über seinen Rücken, verfing sich in dem Wams, das Mirkady ihm gegeben hatte, zerriß ihn wie nasses Papier und schleuderte Michael zu Boden. Die Luft wurde ihm aus der Lunge gepreßt, als er auf den Boden prallte. Er lag dort und nahm nichts mehr wahr, als den Gestank um ihn herum, widerlich süßlich wie Verwesungsgeruch — und den großen Schatten, der über ihm aufragte. Rufe ertönten, zu weit entfernt, um eine Rolle zu spielen. Das Monster beugte sich über ihn, streckte einen Arm nach ihm aus. Michael spürte, wie eine klauenbewehrte Pfote mit schrecklicher Zärtlichkeit über sein Gesicht strich. Der grauenhaft stinkende Atem des Wesens verschlug ihm so den Atem, daß sein Herz raste und er nach Luft rang wie ein Fisch auf dem Trockenen. Der Magen drehte sich ihm um, und Panik schickte Adrenalin in seine Adern. Die Augen waren jetzt nur noch zehn Zentimeter vor ihm, und er erkannte, daß die Hornhaut gelb leuchtete und von dünnen roten Linien überzogen war. Die schwarzen Pupillen waren schlitzförmig wie die einer Katze. Die Augen wirkten riesig, groß wie Tennisbälle, und die Bosheit in ihnen brannte auf Michaels Gesicht wie die Strahlen einer schaurigen Sonne. Das Maul öffnete sich. Plötzlich richtete sich die Bestie blitzschnell auf und wehrte mit einer schnellen Armbewegung einen Speer ab. Rufe erklangen, und unregelmäßiges Licht von Fackeln näherte sich. Die Bestie hielt für einen Moment inne und zog die schwarzen Lippen über den langen Zähnen hoch. Ein weiterer Speer verfehlte sein Ziel. Ein Mann näherte sich mit einem Kurzspeer, die Bestie reagierte sofort. Sie sprang vor, stieß den Speer des Mannes zur Seite, wand ihn aus seinem Griff. Er stolperte zurück, tastete nach dem Dolch an seiner Hüfte, doch die Bestie zog ihn mit einem Arm zu sich heran und biß zu. Das Knacken und Knirschen klang laut durch die Nacht. Der Mann sank mit halb durchgebissenem Genick zu Boden. Rufe der Trauer und der Wut erhoben sich bei den anderen Fuchsmännern. Sie eilten herbei, umringten die Bestie und stachen mit ihren langen Speeren auf ihn ein. Der Wyrwulf schnappte nach einem und biß die Steinspitze der Waffe ab, packte dann einen anderen, zog seinen Träger daran zu sich und durchtrennte dessen Rückgrat mit einem krachenden Biß. Den Körper schleuderte er zurück zu den anderen, einer der Männer wurde davon zu Boden geschleudert. Der Ring war durchbrochen. Die Bestie stürmte vor, zerfetzte
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