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Der magische Wald

Titel: Der magische Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Kaerney
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ließ er ihn fallen. Überall Tod und Verwesung. Gewaltsamer Tod — der Knochen war an einem Ende zersplittert. Er schleuderte ihn mit dem Fuß beiseite. Cat starrte für einen Moment darauf und verfiel dann in ihre Waldläuferhaltung und suchte schnuppernd die Hangkante ab. »Cat, komm jetzt. Wir sollten besser umkehren.« »Warte einen Augenblick.« Er ging zu ihr. Sie bahnte sich einen Wegdurch ein Wirrwarr aus toten Ästen und abgestorbenen Efeuranken. »Was suchst du denn da?« »Ich rieche etwas.« Und dann roch er es auch: ein schwacher Gestank lag in der Luft. Verwesungsgeruch, alt, aber unverwechselbar. Sie erreichten einen kleinen offenen Platz, wo der Boden fast unbewachsen war und über dem die Äste sich so dicht zusammengeschoben hatten, daß sie sich auf einmal im Halbdunkel befanden und die Augen zusammenkneifen mußten, um sich an das Licht zu gewöhnen. Eine uralte Eiche, so alt, daß sie eigentlich nur noch ein Stumpf war, von Fäulnis ausgehöhlt, aber hart wie eine Fossilie. Efeu und Heckenrosen hatten sie zottig werden lassen. Um die Wurzeln wanden sich Nachtschattengewächse. Der Gestank von Fäulnis und Verwesung wurde überwältigend, und Michael hielt sich denÄrmel vor die Nase. Cat schien unbeeindruckt. Auf dem Boden lagen Knochen. Einige schimmerten weiß, an anderen klebte grünlich-graues Gewebe. Ein Schädel grinste sie unter einem schwarzen Haarschopf an, und eine Skeletthand lag da wie eine versteinerte Spinne. Lange Schenkelknochen waren zersplittert worden, um an das Mark zu gelangen, und überall lagen Wirbelknochen wie zackige Steine. Der Ort wirkte wie eine Mischung aus einer Friedhofsschändung und der Stätte einer Kannibalenmahlzeit. »Michael. Hier.«

    Er folgte Cat in das Dickicht jenseits der Lichtung. Dort stand ein größerer Baum, eine Buche, die noch ein paar kupferfarbene Blätter trug, die den Winter überstanden hatten. Hier war es noch finsterer, Bäume standen wie eine Mauer um sie herum, ihre Äste bildeten ein dunkles Dach. Es war so still und dämmrig wie in einer Kirche. Ein Mann war an dem mächtigen Stamm der Buche gekreuzigt worden. Nägel aus schwarzen Hartholz waren ihm durch Hand-und Fußgelenke getrieben worden. Sein Bauch war aufgeschlitzt, in der klaffenden Wunde glänzte es dunkel wie Brombeeren. Er stank, aber nicht sehr schlimm, denn es war noch immer kalt. Michael schätzte, daß der Mann weniger als eine Woche tot war. Sein Gesicht war noch immer menschlich, obwohl Krähen sich über seine Augen hergemacht hatten. Schnitte und Verbrennungen an Ellbogen, Knien und Unterleib zeigten, daß er gefoltert worden war. »Diesen hier haben sie nicht gegessen«, murmelte Michael. Auf dem Boden befanden sich die Überreste eines Feuers. Nach der Menge der Asche zu urteilen, mußten sie ihn lange bearbeitet haben. Man hatte Schwarzdornzweige zu einer Krone gewunden und ihm auf den Kopf gepreßt, bis die Dornen tief in die Haut gedrungen waren. Michael lief es kalt den Rücken hinunter. Er ging näher heran. Was er für die Zunge gehalten hatte, war in Wirklichkeit ein Stück Holz, das man dem Mann in den Mund gesteckt hatte. Er zog behutsam daran. Ein Kreuz. »Er war einer der Brüder«, sagte Cat mit tonloser Stimme. »Darum haben sie ihn nicht gefressen. Sie hatten Angst vor ihm, also haben sie ihn so getötet, wie sein Gott getötet wurde, um seinen Zauber zu zerstören.« »Zauber!« schnaubte Michael. Unendliche Wut stieg in ihm auf. »War das dein verfluchtes Waldvolk? Mirkady und seinesgleichen?« Sie schüttelte den Kopf. »Das ist kein guter Ort, Michael. Wir sollten gehen. Wir müssen den Stamm warnen.« »Wovor warnen?« »Grymyrchs. Kobolde. Vielleicht beobachten sie uns in diesem Moment.« Er riß das Ulfberht aus der Scheide. »Laß sie nur kommen, die Bastarde.« »Sei nicht dumm. Wenn sie dich haben wollten, würden sie dich in der Nacht holen, oder wenn du allein bist. Ein einzelner von ihnen ist nicht gefährlich, aber wenn sie viele sind, sind sie tödlich. Und sie würden dich in Massen angreifen. Wir müssen gehen.« »Einen Moment noch.«

    Er zog die Nägel aus dem Holz und ließ die Leiche auf den Boden fallen. Es war nicht leicht, die Arme an den Körper zu legen, und als er spürte, wie sich die Haut des Mannes unter seinem Griff löste, mußte er innehalten und die bittere Galle wieder herunterschlucken, die ihm in den Hals gestiegen war. Er bedeckte den Leichnam mit Blättern und Zweigen und steckte ein Kreuz in den Boden, das

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