Der Mahlstrom: Roman (German Edition)
Handrücken und Hals, die Hultin für eine heftige Schuppenflechte hielt. »Hast du eine Garage, Niklas?«
»Hatte.«
»Dann weißt du ja, wie so was irgendwann aussieht, wenn man nicht krankhaft ordentlich ist. Eine Million unnötiger Gegenstände, verstaut auf zwölf Quadratmetern. Wenn jemand einen dieser unnötigen Gegenstände mitnehmen würde …« Lind hob resigniert die Arme. »Ehrlich gesagt habe ich keinen Schimmer, ob irgendwas fehlt. Und wenn, hat der Betreffende mir eher einen Gefallen getan. Ich werde nichts vermissen. Das Einzige, was mir nicht gefällt, ist die Tatsache, dass das der zweite Einbruch innerhalb von drei Tagen war. Ich hoffe, das ist nicht der Auftakt einer ganzen Einbruchsserie.«
»Das sind eher kleine Sorgen.« Niklas hatte vierzehn Jahre bei der Polizei in Oslo gearbeitet und fand die ländliche Kriminalität im Vergleich geradezu charmant.
»Kann schon sein, aber so was ist früher auch schon mal passiert.« Lind bog eine Büroklammer auf und kratzte sich am Hals. »Vor meiner Zeit zwar, aber da hat man damals immer noch drüber geredet. Die meisten hier in der Gegend haben schon mal nächtlichen Besuch gehabt, aber der Sünder wurde nie gefasst. Seltsam ist, dass nie irgendwas gestohlen wurde. Irgendjemand konnte einfach nicht widerstehen, wühlte ein bisschen in den Häusern der Leute herum und verschwand wieder.«
»Hört sich so an, als wäre da jemand auf der Suche nach irgendwas.«
»So muss es auch gewesen sein. Aber die Einbrüche nahmen irgendwann mal ein Ende, also hat der Betreffende vielleicht gefunden, was er gesucht hat.«
»Und was hast du vor? Zeigst du den Einbruch an oder setzt du drauf, dass es damit vorbei ist?«
»Anzeigen und zu den Akten legen.«
»Das nenn ich einfache und effektive Sachbearbeitung.«
»Eben.«
»Ich verstehe fast nicht, warum ich eine Gefahrenzulage bekomme.«
»Die einzige Gefahr, die dir hier droht, ist Langeweile. Gut, dass wir zumindest ein paar Originale haben, die uns in Atem halten.«
Niklas konnte sehr gut ohne solche Herausforderungen wie Mord, Drogentote und Familientragödien leben. »Warum bist du eigentlich Polizist geworden?«, fragte er. Ihm war sehr wohl bewusst, dass er bei seiner eigenen Entscheidung einfach einem spontanen Einfall gefolgt war.
»Um gut aufzupassen.« Lind richtete die Aufmerksamkeit auf einen Papierstapel auf seinem Schreibtisch, was Niklas so deutete, dass er nicht vorhatte, ein oberflächliches Geplauder über das anzufangen, was für ihn eine Berufung gewesen war. Er ließ das Thema fallen und warf einen Blick auf die Uhr. In einer knappen Stunde musste er in der Schule sein und den Kleinen Straßenverkehrsunterricht erteilen. Er warf einen Blick auf das Regal seines Kollegen und die Puppe, die dort an der Wand lehnte. Die Frau, die sie gefunden hatte, hatte darauf bestanden, dass die Polizei das alte Spielzeug in Gewahrsam nahm – nicht nur deswegen, weil sich der Besitzer melden könnte, sondern weil sie absolut überzeugt war, dass diese Puppe irgendetwas zu bedeuten habe. Lind hatte sie ergeben entgegengenommen und sie neben Polizeiauto Pelle gestellt.
»Was hältst du von der Puppe?«
Lind streckte sich. »Kinderstreiche. Entweder das, oder irgend so ein armer Kerl hat sie nicht mehr alle. Irgendjemandem gefällt es eben, alte Puppen ins Meer zu schmeißen, und soweit ich weiß, steht nirgendwo geschrieben, dass das eine strafbare Handlung wäre. Auch wenn sich ängstliche Damen deswegen Sorgen machen.«
»Ja, die war schon ganz schön aufgeregt.«
»Schon extrem, wenn du mich fragst. Aber ich behalte die Puppe erst mal hier.« Lind machte eine halbe Umdrehung mit seinem Bürostuhl. »Was hält übrigens deine bessere Hälfte davon, in heimatliche Gefilde zu ziehen? Gefällt es ihr?«
Niklas zuckte mit den Schultern. »Sieht so aus. Aber manchmal wird ihr die Zeit ganz schön lang. Die Jobs wachsen hier nicht gerade auf Bäumen.«
»Da eröffnen sich schon noch Möglichkeiten. Das ist doch immer so, oder?«
Lind warf einen Blick aus dem Fenster und seufzte demonstrativ. »Ach, ist es mal wieder so weit.«
Niklas reckte den Kopf und erblickte die sagenumwobene Gestalt, die sich mit energischen Schritten näherte. Das war also der Wanderer, der Mann, der die Tage damit verbrachte, endlos Erde zu schaufeln, Quadratmeter für Quadratmeter die Stelle umzugraben, die er sich für den jeweiligen Tag vorgenommen hatte, und wöchentlich seine Berichte an das Polizeirevier
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