Der Mahlstrom: Roman (German Edition)
bevor es ganz zum Stehen gekommen war, riss die Haustür auf und heulte ihren Namen heraus. Ein leeres Echo antwortete ihm. Er lief von Zimmer zu Zimmer, aber sie sahen alle nackter und unbewohnter aus denn je. Wieder wählte er ihre Nummer, da bemerkte er das Icon, das ihm anzeigte, dass er eine neue SMS bekommen hatte. In diesem Moment fiel ihm wieder ein, dass sein Handy immer noch auf stumm geschaltet war, und mit zitternden Händen öffnete er die Mitteilung.
Sie war von ihm. Ruf mich sofort an .
Das war alles. Er suchte sich die Nummer aus seinem Adressbuch und drückte auf ANRUFEN . Das Herz schlug ihm bis zum Hals, und er war immer noch nicht wieder zu Atem gekommen, als die Stimme am anderen Ende der Leitung ertönte.
»Wo ist Karianne?«, keuchte Niklas.
Der andere ließ sich Zeit mit seiner Antwort, er genoss es, die Situation vollkommen in der Hand zu haben. »Bei mir natürlich.«
»Ich will mit ihr sprechen.«
Wieder Stille. »Du kannst mit ihr reden, wenn – falls – ich es dir erlaube.«
»Sie ist krank, schwer krank.«
»Das weiß ich.«
Natürlich wusste er das.
»Es ist vorbei. Du kommst da nicht mehr raus.«
»Ich habe ihren Gatten wohl unterschätzt.« Er klang neckend. »Ich wusste doch, dass du mit ihr hier hochziehen würdest – ja, du kannst dich sogar bei mir bedanken, dass so prompt eine Vertretungsstelle frei geworden ist.«
Die Übelkeit schüttelte Niklas, und er bildete sich ein zu spüren, wie das Gift Löcher in seine Gedärme ätzte, ihn Stück für Stück auffraß. »Du Wichser hast mich vergiftet.«
Trockenes Gackern. »Das war nicht mal eine halbe Dosis, du Feigling. Ich wollte dich nur ein bisschen ausbremsen.«
»Wie …?« Neuerliche Krämpfe.
»Ganz einfach, mit Kaffee.«
»Und Korneliussen hast du auch vergiftet.«
»Am Ende wirst auch du einsehen, dass das – genau wie alles andere – nötig war, um deine Frau am Leben zu halten. Sag doch mal, hast du in diesem Augenblick nicht Angst um sie? Spürst du, wie die Angst in jeder Faser deines Körpers pocht, beim bloßen Gedanken, dass du nicht weißt, wie es ihr überhaupt geht? Vielleicht hat sich ihr Zustand verschlechtert, vielleicht habe ich sie brutal geknebelt. Wenn sie dann noch irgendwo sitzt, wo die Luft verbraucht und stickig ist, könnte sie langsam ersticken.«
»Du verdammtes …«
»Spürst du es, Niklas? Spürst du, wie die Verzweiflung dich in diesem Augenblick dazu treiben könnte, buchstäblich alles für sie zu tun? Spürst du das?«
»Du …«
»Ich habe gefragt: Spürst du das, Niklas?«
»Wenn du ihr etwas antust, wenn du ihr auch nur ein einziges Haar krümmst …«
»Dann bringst du mich um? Sieh’ mal einer an, ein Mord für ein einziges gekrümmtes Haar. So was habe ich nie gemacht, Niklas. Aber ich habe Leben genommen, um Leben zu retten. Das finde ich doch ein klein wenig anständiger.«
»Du bist wahnsinnig.«
»In diesem Moment bist du nicht in der Lage, es zuzugeben, aber zum Schluss wirst du verstehen, dass alles – ich wiederhole: alles – dazu beigetragen hat, deine Frau am Leben zu erhalten. Für die du dich jetzt und hier zum Mörder gemacht hättest, nur um sie wiederzusehen. Ich habe es nur raffinierter angestellt als du. Wo du der Bulldozer-Methode den Vorzug gegeben hättest, habe ich geschickt und klug eliminiert.«
Die Übelkeit kam immer noch in Wellen. »Ich will mit ihr sprechen.«
»Wenn ich es dir erlaube.«
»Du bist erledigt. Ich werde meine Kollegen alarmieren, ich …«
»Niklas, Niklas, jetzt enttäuschst du mich aber wirklich. Glaubst du, ich würde erlauben, dass du hier irgendwie das Ruder in die Hand nimmst? Du hast keinen alarmiert, und du wirst auch niemanden alarmieren. Ich habe fünfundzwanzig Jahre an diesem Puzzle gearbeitet, und niemand beherrscht es besser als ich. Ich verteile hier die Karten, und ich habe die Asse auf der Hand. Du wirst also niemanden alarmieren.«
Niklas schwankte der Boden unter den Füßen. »Du hast Reinhards Saft vergiftet.«
»Der hat diese Zuckerplörre sein ganzes Leben in sich hineingeschüttet. War kein großes Ding. Reingehen, Flaschen austauschen.«
»Reinhard hat Evens Mutter damals gefunden. Wie …«
»Ja, nach dem konnte man echt die Uhr stellen. Er hat die Tage im Krankenhaus verbracht, war bloß mittags kurz zum Essen zu Hause. Ich wusste fast auf die Minute genau, wann er dort vorbeikommen würde. Die Verkehrsdichte vor fünfundzwanzig Jahren in Bergland … da konnte eine halbe Stunde
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