Der Mahlstrom: Roman (German Edition)
Joakim den Blickkontakt.
»Geht’s um diesen Therapeuten?«
Der Junge zuckte mit den Schultern.
»Mama macht sich bloß ein bisschen Sorgen.«
Schweigen.
»Es sieht so aus, als wärst du mit den Gedanken nie so wirklich bei der Sache.«
Er veränderte seine Sitzposition, so dass er seinem Vater ein Stückchen mehr von seinem Rücken zuwandte.
»Wir werden drüber reden. Alle drei.«
»Ich scheiß auf diesen Psychologenarsch.«
»Okay. Immer noch besser, als wenn du auf uns scheißt.«
»Außerdem ist die Musik voll ätzend.« Joakim schnappte sich die Fernbedienung und drehte die Lautstärke so weit herunter, dass kaum noch etwas zu hören war.
»Vielleicht nicht ganz der richtige Anlass.«
Neuerliches Schweigen.
»Hör mal, Joakim. Vielleicht geht es ja einfach nur darum, dass du am richtigen Ort abschaltest beziehungsweise im richtigen Moment dein Hirn dann wieder einschaltest.«
»Hä?«
»Hier zu Hause zum Beispiel. Hier schaltest du ab, schmeißt dein Fahrrad in die Büsche, wenn’s sein muss. Das mach ich ja auch so, ich pell mir die Socken von den Füßen und schmeiß sie gegen die Wand. Aber in der Arbeit geht das eben nicht, da muss ich meine Arbeitsmaske auflassen. Verstehst du? Bei dir ist es dasselbe. In der Schule erwartet man von dir, dass du dem Lehrer zuhörst.«
»Die reden doch alle bloß Scheiße.«
»Nicht nur.«
»Zu neunzig Prozent.«
»Okay, dann hast du die weniger wichtigen Dinge schon aussortiert. Konzentrier dich doch einfach auf die restlichen zehn Prozent.«
Joakim konnte ein widerwilliges Grinsen nicht ganz unterdrücken. »Okay.«
»Deal? Dann nehme ich die City-Boy- CD wieder mit, und du bemühst dich morgen mal, es so zu versuchen?«
»Das nenn ich mal ’n guten Deal.« Joakim drückte energisch auf die Stopptaste.
»Du hättest ihr eine Chance geben sollen. Das ist ein Konzeptalbum. Über den Untergang der Welt.«
»Erzähl mir lieber, wie es ausgeht. Ist einer entkommen, oder mussten alle sterben?«
Es kam ihm vor, als hätten Joakims Worte einen doppelten Sinn. »Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht mehr.« Sein Unterbewusstsein trat ihm heftig gegen die Hirnrinde, das Gefühl hielt an.
Erst später, als er sich etwas zubereitete, was Helene ein Abendessen für Faule genannt hätte, fiel ihm ein, was sein Unterbewusstsein da herausgefiltert hatte. Er ließ die Bratpfanne stehen und griff nach dem Handy.
»Ja?« Sein Kollege hörte sich müde an.
»Mach dich fertig, Thomas.«
»Was ist denn los?«
»Ich weiß jetzt, wofür D.V. steht.«
12
Bergland
Ellen Steen wohnte in dem Haus, das sie von ihren Eltern geerbt hatte. Die Fassade zeigte Zeichen einer kürzlichen Renovierung; die Wand, deren verblichene und gesprungene Eternitplatten als Nächstes in Angriff genommen werden sollten, war eingerüstet.
»Ich glaube, ich schaffe es nicht, mit Ihnen da reinzugehen. Es ist einfach so schrecklich.« Ellen Steens Tante und zugleich nächste Verwandte drückte sich ein zerknülltes Taschentuch unter die Nase.
In Absprache mit dem Krankenhaus hatten sie beschlossen, sich mit Ellen Steens Verwandten in Verbindung zu setzen, und so kamen sie zu dieser Frau, die Lind jetzt widerwillig den Hausschlüssel überreichte. Ellen Steens Eltern waren tot, und nach Angaben der Tante gab es auch keinen Mann im Leben ihrer Nichte.
»Am liebsten wäre es mir, wenn Sie mit reinkommen. Wir möchten ungern mehr herumwühlen als absolut notwendig.«
Als die Tür aufging, wandte die Frau sich ab, als hätte sie einen Verrat begangen.
Das Haus war geschmackvoll eingerichtet und wurde offenbar von einem sehr ordentlichen Menschen bewohnt.
»Wonach suchen Sie denn?«
»Puppen.« Lind ließ den Blick durch ein Wohnzimmer wandern, das vor Nostalgie nur so triefte.
»Um Gottes willen, ich dachte, Sie wollen herausfinden, wer Ellen das angetan hat.«
»Das gehört zusammen«, warf Niklas ein.
Die Frau wirkte entsetzt. Die gestrandeten Puppen waren ihr offenbar nicht unbekannt.
»Wissen Sie, ob sie Puppen im Haus hat? Das sind ja keine ungewöhnlichen Sammelobjekte.« Niklas bemühte sich, seine Frage so unverfänglich wie möglich klingen zu lassen.
»Ellen hat doch keine Puppen.« Es klang eher wie eine Frage als wie eine Feststellung.
»Sicher nicht?« Lind war bereits dabei, sich in der Küche umzusehen.
»Ich bitte Sie! Ellen ist ein erwachsener, klar denkender Mensch.« Die Tante zog die offene Strickjacke fester um den Körper, bevor sie fast flüsternd hinzufügte:
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