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Der Mahlstrom: Roman (German Edition)

Der Mahlstrom: Roman (German Edition)

Titel: Der Mahlstrom: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frode Granhus
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entstiegen: Der Spaten pendelte in der einen Hand, sein Gesicht war unter einer übergroßen Kapuze verborgen. Mit zielsicheren Schritten näherte er sich dem Haus, wobei ihn das davor geparkte Polizeiauto anscheinend nicht ins Stutzen brachte. Erst als er die Vortreppe erreichte, drehte er sich zum Auto um, bevor er sich bückte und die Hand unter die Holzvertäfelung steckte. Auch ein Ort, wo man den Hausschlüssel aufbewahren konnte.
    Niklas ließ das Fenster halb herunter. »Dürfte ich wohl kurz mit Ihnen sprechen?«
    Der Wanderer blieb unbeweglich stehen, während er offenbar das Für und Wider abwägte, doch dann machte er eine Bewegung, die sich mit etwas gutem Willen als zustimmendes Nicken deuten ließ.
    Niklas blieb sitzen, bis er ganz sicher sein konnte, dass die Tür offen war, bevor er durch den Regen rannte.
    Der Wanderer stand im Flur, zog mit ruhigen, bedächtigen Bewegungen seine Regenjacke aus und hängte sie auf einen Haken. Niklas bemerkte, dass das Hemd an den Ärmeln und rund um den Kragen nass und die lange Unterhose mehr oder weniger ganz durchnässt war. Gleichzeitig schlugen ihm die Ausdünstungen entgegen, und die waren bedeutend übler als das, was er vor ein paar Tagen im Büro gerochen hatte. Er konzentrierte sich darauf, durch den Mund zu atmen. Schließlich drehte sich der Wanderer um. »Sind Sie gekommen, um mir beim Graben zu helfen?«
    Niklas konnte nicht abschätzen, ob die Frage ein Scherz oder ernsthaft gemeint war. Er war überhaupt nicht sicher, ob es im Leben des Wanderers Raum für Späße gab. »Ich bin gekommen, weil ich Sie bitten möchte, sich etwas anzusehen«, sagte er.
    Der Wanderer blickte skeptisch auf die Tasche in Niklas’ rechter Hand.
    »Darf ich vielleicht reinkommen?«
    Der Wanderer nickte und stapfte schweren Schrittes nach drinnen, als würde er immer noch durch gurgelnden Moorboden waten.
    In der Küche zog er einen Pullover an, der über einem Stuhl hing, und legte das nasse Hemd über den Stuhlrücken. Sein Oberkörper war sehnig und muskulös, seine Haut mit Muttermalen übersät. Ohne seine nasse Unterhose auszuziehen, ging er ins Wohnzimmer und setzte sich. Niklas folgte ihm und nahm auf einem Stressless-Sessel Platz, der zwar zu den älteren Semestern gehörte, aber kaum Spuren von Abnutzung zeigte.
    »Heute sind es vierzehn Quadratmeter geworden.« Der Wanderer richtete den Blick auf den Boden.
    »Sind Sie sicher, dass sie da irgendwo ist?«, fragte Niklas vorsichtig.
    Der Wanderer setzte sich in seinem Stuhl zurecht und seufzte tief, als wollte er ausdrücken, dass die Mühen des Tages jetzt überstanden waren. »Ja.«
    »Das könnte Ihr halbes Leben lang dauern.«
    »Sie ist dort irgendwo.«
    Der Tonfall ließ keinen Spielraum für Diskussionen, und Niklas beschloss, direkt zum Thema zu kommen. »Haben Sie vielleicht schon von diesen Puppen gehört, die hier an Land gespült worden sind?«
    Der Wanderer schwieg, und Niklas dachte sich, dass ihm die Nachricht wohl noch nicht zu Ohren gekommen war. Schließlich war er völlig einsam und verbrachte seine Zeit in der verlassenen Berglandschaft.
    »Die Puppen, ja«, kam es schließlich.
    »Wir haben uns ein bisschen gewundert. Inzwischen können wir sagen, dass sie ziemlich alt sind.«
    Nichts deutete darauf hin, dass der Wanderer begriff, worauf dieses Gespräch abzielte.
    »Wir wissen noch nicht, wem sie gehören oder warum sie übers Meer geschickt wurden. Es ist sozusagen ein Schuss ins Blaue, aber wir dachten uns, vielleicht könnten Sie sich die Puppen mal ansehen.«
    Immer noch keine Reaktion.
    »Zumindest um auszuschließen, dass sie Ihrer Schwester gehört haben könnten.«
    Das war Brocks’ Vorschlag gewesen – während er zugleich gemeint hatte, dass es keinen Sinn machen würde, Kontakt mit der anderen Schwester aufzunehmen. Wenn der Wanderer nichts weiß, weiß sie auch nichts, hatte er gesagt, in kaum verhohlener Anspielung auf ihre mangelnden geistigen Fähigkeiten.
    Ohne eine Antwort abzuwarten, machte Niklas die Tasche auf und legte die erste Puppe auf den Tisch. Der Wanderer rührte sich nicht und starrte noch eine Weile in die Luft, bevor er widerstrebend einen Blick auf die asiatische Schönheit warf. Fast im gleichen Moment sah er wieder weg, als würde die Puppe schmerzliche Erinnerungen in ihm wecken, doch dann streckte er schließlich die Hand nach ihr aus. Er drehte sie in seinen schwieligen Fingern und musterte sie eingehend. »Das ist nicht ihre«, sagte er dann und setzte

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