Der Mahlstrom: Roman (German Edition)
dem Schluss, dass er wegen des vagen Gefühls gekommen war, dass Renate Øverlid sich unter Druck gesetzt fühlte und irgendetwas unternehmen würde.
Um halb neun rief Thomas an.
»Meine macht jetzt einen Spaziergang«, sagte er.
»Folg ihr.«
»Ich komm mir ganz schön blöd vor. Wie so ’n kranker Voyeur.«
»Genau das bist du heute Abend. Wir hören uns.« Rino legte auf, bevor sein Kollege protestieren konnte.
Es wurde halb zehn, ohne dass Thomas zurückrief, und Rino schlenderte ein Stückchen hin und her, um seine steifen Gliedmaßen zu lockern. Als er wieder im Auto saß, konnte er seine Neugier nicht mehr zurückhalten und wählte die Nummer seines Kollegen.
»Mittlerweile hat meine Lieblingstalkshow angefangen«, sagte Thomas mit Grabesstimme.
»Tröste dich damit, dass es dieselben Gäste sind wie letztes Mal. Und vorletztes Mal. Passiert irgendwas bei dir?«
»Ziemlich wenig. Ich steh jetzt wieder vor ihrem Haus.«
»Wo ist sie denn hingegangen?«
»Nur einkaufen.«
»Okay.«
»Wollen wir’s damit gut sein lassen für heute Abend?«
Rino warf einen Blick auf die Uhr. Dieses Wochenende hatte er Joakim, und diese Spätschicht war definitiv kein guter Start. »Um halb elf machen wir Schluss.«
»Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass sie noch mal rausgeht, aber okay.«
Die letzte Stunde verging äußerst zäh. Um Viertel nach zehn schickte er Thomas eine SMS , dass sie Schluss machen konnten. Es kam keine Antwort, und er hegte den Verdacht, dass sein Kollege ihm schon zuvorgekommen war.
Joakim hatte einen Freund eingeladen, und nach dem DVD -Stapel zu urteilen, hatten sie sich vorgenommen, über das Wochenende einen Filmmarathon hinzulegen. Rino bemerkte, dass Joakim gereizt wirkte, er meckerte über die Auswahl der Filme und die schlechten Schauspieler, als hätte René die DVD s alleine ausgesucht. Rinos Versuch, die Situation mit Witzen zu retten, schuf nur peinliches Schweigen. Er setzte sich eine Weile zu ihnen, nicht weil er Horrorfilme mit zweitklassigen Schauspielern sonderlich unterhaltend fand, sondern weil er die Stimmung auflockern wollte. Es wurde zwölf, ohne dass sich die Atmosphäre verbessert hätte, und er beschloss, ins Bett zu gehen.
Was er beim Aufwachen sah, ähnelte der Wüstenlandschaft nach einem Junggesellenabschied: leere und halbleere Flaschen und Gläser, Chipsreste auf dem Sofa und auf dem Boden und die Filme überall verstreut. Er räumte das Schlimmste auf, ließ das Staubsaugen aber für Joakim übrig. Dann wählte er Thomas’ Nummer.
»Hallo«, rief Thomas über das Stimmengewirr.
»Ich bin’s. Wo bist du?«
»Im Einkaufszentrum.«
Rino glaubte, im Hintergrund Thomas’ Freundin zu hören, und er wusste, dass die Fahrt in die Stadt ein festes Ritual war, wenn Thomas nicht gerade zum Dienst eingeteilt war. »Wann machen wir weiter?«
Es dauerte einen Moment, bis Thomas antwortete. »Meinst du damit, dass wir heute auch wieder ranmüssen?«
»Wenn wir einen Schokokuss pro Schicht rechnen, stehst du immer noch in meiner Schuld.«
Er hörte Thomas seufzen. »Es reicht aber, wenn wir um sechs anfangen, oder?«
»Ich dachte eigentlich an sofort. Wann seid ihr fertig mit Einkaufen?«
»Warte mal kurz.«
Das Stimmengewirr verstummte. »So, jetzt hör ich wenigstens, was ich selbst sage. Also, vor zwei Uhr komm ich hier nicht weg. Die Kinder freuen sich aufs Café, das ist immer der Höhepunkt.«
Rino spürte einen Stich seines schlechten Gewissens, und plötzlich kam ihm eine Idee. »Okay. Dann sagen wir einfach sechs Uhr.«
Er holte den Staubsauger, erledigte die Arbeit, die streng genommen Joakims gewesen wäre, und ging nach oben, um ihn zu wecken. In seinem Zimmer roch es nach Schlaf, und Rino kippte das Fenster. Joakim schlief tief und fest.
»Los, raus aus den Federn. Es ist schon halb zwölf.«
Joakim drehte sich um und zog sich die Decke halb über den Kopf.
»Jetzt komm schon, du Faulpelz.«
Keine Reaktion.
»Vater an Sohn, Vater an Sohn!«
»Brennt’s, oder was?«
»Ich dachte, wir könnten in die Stadt fahren, einen Kaffee trinken oder so.«
Joakim setzte sich im Bett auf und zeigte dem Tag sein verschlafenes Gesicht. »Was ist los?«
»Quality Time heißt der Fachausdruck, aber ich würde vorschlagen, wir nennen es einfach familiäre Samstagsgemütlichkeit.«
»Jesus!« Joakim ließ sich aufs Kissen zurückplumpsen.
»Jetzt komm, in zwanzig Minuten ist Abmarsch. Ich spendier dir eine CD , wenn du mitkommst. Aber nur unter
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