Der Makedonier
nicht schickte, den Verlust einer Gemahlin zu betrauern, war es bei einemSohn doch etwas ganz anderes, und Philipp hätte sich deshalb bedenkenlos seiner Trauer hingeben können. Aber er schien nichts zu empfinden, nichts außer einer dumpfen Enttäuschung, die mit seiner eigenen Unfähigkeit und dem Wirken des Schicksals zu tun hatte. Er war unfähig gewesen, seinen Untertanen einen Erben zu liefern. Er war unfähig gewesen, Phila zu beschützen. Es war ihm beinahe, als hätte er sie ermordet. Sein einziger Trost lag darin, daß sie gestorben war, ohne je erfahren zu haben, daß sie ihr Leben umsonst geopfert hatte.
Für seine Freunde schien Philipp nur ein wenig ernster zu sein als zuvor und nicht mehr so schnell zu einem Lächeln bereit. Sie wußten nichts von den langen Stunden der Verzweiflung, die ihn befiel, wenn er allein war, wenn die Zeit für ihn stillzustehen schien und er jedes Gefühl für Wirklichkeit und Gegenwart verlor, wenn sein Verstand sich verdüsterte, bis nur noch ein einziges Bild vor seinem geistigen Auge stand, die Erinnerung an die letzten Minuten mit seiner Frau.
Wußte sie, daß ihr Kind tot war? War sie ein wabernder Schatten unten im Hades, dazu verdammt, für immer ihren Verlust zu beklagen? Der Gedanke quälte ihn. Vielleicht, dachte er manchmal, vielleicht hätte ich es ihr sagen sollen. Aber sie hatte doch bereits so viel gelitten, und wieviel mehr konnte eine Sterbliche ertragen? Er hatte recht gehabt, sie in Frieden sterben zu lassen – wenn sie nur in diesem Frieden bleiben könnte.
Sie fehlte ihm. Manchmal in der Nacht fehlte sie ihm so sehr, daß er sich dabei ertappte, wie er angestrengt in die Dunkelheit nach ihrer Stimme lauschte. Und gleichzeitig warf er sich vor, daß sie ihm nicht genug fehlte, daß sein Herz nicht daran zerbrach, daß es nicht unerträglich war für ihn, daß er sich nicht den Tod wünschte. Er hatte das Gefühl, ihr Unrecht zu tun, weil sie ihn so sehr geliebt hatte. Ihm zuliebe war sie gestorben. War sie nicht den kleinen Tribut des Schmerzes wert? Er konnte weiterleben, konnte den Kummer überwinden, während sie immer mehr in der unerreichbaren Vergangenheit verschwand. Auch dies schien ihm eine Ungerechtigkeit, fast eine Beleidigung zu sein.
»Du mußt wieder heiraten«, sagte Glaukon etwa drei Monate nach Philas Tod. Die beiden saßen beim Abendessen in der Wohnung des alten Mannes in der Nähe der Dienstbotenzimmer. Keiner von beiden hatte in den letzten Minuten etwas gesagt. »Ich weiß, daß sie dir mehr fehlt, als du zeigst, aber du kannst nicht einfach deinem Kummer den Rücken zukehren, als gäbe es ihn gar nicht. Du brauchst eine neue Frau.«
Philipp lächelte und dachte dabei, daß Glaukon vermutlich der einzige Mann auf der Welt war, der so mit ihm reden durfte, und mit Sicherheit der einzige, auf den er hörte.
»Du hast auch nicht wieder geheiratet«, sagte er.
»Ich bin ein Untertan, aber du bist König. Du brauchst einen Erben. Außerdem war ich bereits älter.«
»Wird eine neue Frau mich die alte vergessen lassen?«
»Nein.«
»Das ist gut, denn sonst würde ich nicht mehr heiraten.« Er schüttelte den Kopf, als hätte er eben eine Entscheidung getroffen. »Ich werde mir eine neue Frau nehmen, wenn ich wieder lieben kann. Aber das wird dauern.«
»Dann hast du sie also geliebt?«
»Ja.«
Ja, er hatte sie wirklich geliebt. Doch das hatte er erst erkannt, nachdem er sie verloren hatte. Das war die Last, die seine Seele bedrückte.
32
PERDIKKAS HATTE DIE Hoffnung aufgegeben, die Athener je aus Pydna und Methone vertreiben zu können. Unter Mißachtung des Friedensvertrags, den er mit Kallisthenes geschlossen hatte, schickte er zwar weiterhin Truppen zur Unterstützung des Chalkidischen Bundes, aber auch Athens endgültige Niederlage vor Amphipolis, nach der es gezwungen wurde, seine Flotte zu verbrennen, änderte nichts daran.
Sogar Euphraeos schien das Interesse an diesem Konflikt verloren zu haben, denn immer häufiger lenkte er die Aufmerksamkeit des Königs auf andere Gefahren: Die Illyrer hatten einen Bund mit König Menelaos von Lynkestis geschlossen und bedrohten wieder einmal die nördlichen Grenzen.
»Vielleicht sollte ich Philipp schicken, um sie zu erschrecken«, sagte Perdikkas und gestand damit gleichsam im Spaß ein, daß es im Westen seit gut zwei Jahren vollkommen ruhig war. Euphraeos antwortete mit seinem besonders unangenehmen Lächeln.
»Es hat den Anschein, als wage es niemand, den König
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