Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
aber doch langsam in Bewegung. Leicht amüsiert registrierte er, dass die Leute auch ihm ehrfürchtig Platz machten.
Bei Il Moro angelangt, machte er eine kleine Verbeugung, die eher dem Publikum Genüge tun sollte als dem Regenten.
»Der nahezu größte Künstler des Abendlandes«, sagte der Herzog, ohne Leonardo anzusehen. »Aber nur nahezu.«
»Ihr seid also nicht zufrieden, Exzellenz?«
»Sagen wir, nicht uneingeschränkt zufrieden.«
»Nehmt es mir nicht übel, Exzellenz, aber bisher scheint Ihr der Einzige zu sein, der nicht beeindruckt ist.«
»Nun, als Geldgeber für dieses exorbitant teure Projekt sehe ich es vielleicht ein wenig anders als die Menge, die nur Zerstreuung sucht.« Sforzas Blick löste sich vom Standbild und wandte sich Leonardo zu. »Lautete der Auftrag nicht, dass mein Vater auf einem steigenden Pferd sitzen sollte?«
»In der Tat, und das hat mich viel Kopfzerbrechen gekostet. Aber es hat sich als technisch nicht machbar erwiesen. Ein jeder wird mir beipflichten, dass die von mir gefundene Lösung, die Vorderbeine des Pferdes auf der Figur eines gefallenen Soldaten ruhen zu lassen, eine gute Möglichkeit ist, der Haltung des Pferdes dennoch…«
»Das ist kein steigendes Pferd, Meister da Vinci!«, herrschte Il Moro ihn an.
Unter den umstehenden Zuschauern wurde beunruhigtes Getuschel laut. Der Regent war unnötig laut gegen Leonardo, als hätte er einen Bediensteten vor sich, der etwas ausgefressen hatte. Er wollte dem Publikum offenbar demonstrieren, dass er auch seine Günstlinge nicht schonte, wenn sie seine Autorität untergruben.
»Kannst du das noch ändern?«
Leonardo schüttelte unwirsch den Kopf. »Wie ich schon sagte, das, was Ihr Euch wünscht, ist technisch nicht machbar.«
»Für einen anderen Meister aber vielleicht schon!«
»Wenn er zaubern kann«, entgegnete Leonardo mit bitterer Ironie.
Ohne ein weiteres Wort ging Il Moro zu seinem Pferd zurück, saß auf und ritt mit seinem Gefolge davon.
Zoroastro fragte: »War er schon immer so unmanierlich?«
»Ach, in letzter Zeit scheint seine Popularität stark zu schwinden. Man nimmt ihm wohl vor allem übel, dass er den deutschen König derart hofiert. Das macht ihm zu schaffen. Er wird immer unleidlicher.«
»Willst du unter diesen Umständen überhaupt noch an dem großen Auftrag festhalten?«
Leonardo schaute zum Standbild auf. Er war enttäuscht, aber mehr noch zornig. Nicht uneingeschränkt zufrieden…
»Lass alle rauswerfen und das Tor schließen«, trug er Zoroastro barsch auf. »Der Zirkus macht zu.«
Kaum war Il Moro mit der Felsgrottenmadonna zur Hochzeit seiner Nichte und König Maximilians abgereist, ließ plötzlich die Bruderschaft von der Unbefleckten Empfängnis in Gestalt der Familie Casati von sich hören und Leonardo und Ambrogio de Predis durch einen Boten in ihren Palazzo im Süden der Stadt bitten.
Sie wurden von Carlo Casati empfangen, einem der vielen zu Wohlstand gelangten Kaufleute Mailands. Er war alt und hutzelig und erweckte den Anschein, als sei er nicht mehr ganz richtig im Kopf. Fast schon zwanghaft ließ er alle naselang den Satz fallen, dass er mit dem Papst befreundet sei. Sein Palazzo war von außen sehr schön, doch im Innern herrschte die unpersönliche, kühle Atmosphäre eines seit langem unbewohnten Hauses. Casati selbst hatte etwas Gruseliges an sich, wie er, auf einen Stock gestützt, gebückt durch die großen, nahezu leeren Räume humpelte, während jedes Aufsetzen des Stocks auf dem nackten Boden von den kahlen Wänden widerhallte. Ob er hier allein lebte, war nicht ersichtlich. Weder eine Ehefrau noch irgendwelches Personal ließen sich blicken.
»Die Bruderschaft ist nicht erfreut über den Stand der Dinge«, sagte Casati, als sie in einem riesigen, fast unmöblierten Salon Platz genommen hatten. »Ich habe meinen Freund, den Papst, von Ihrem Handeln in Kenntnis gesetzt, und auch Seine Heiligkeit ist nicht glücklich.«
Tja, wer ist schon glücklich in unserer Welt, dachte Leonardo, sagte es aber wohlweislich nicht laut.
»Die Bruderschaft war gewarnt, Herr Casati. Nicht Meister da Vinci war der Erste, der sich Versäumnisse zuschulden kommen ließ.«
Casati kniff die wässrigen, hellen Augen zusammen. »Kann der große Meister nicht für sich selbst sprechen?«
»Ich habe vorläufig nichts zu sagen.« Leonardo sah Casati abwartend an. Er war sich des Reichtums und somit auch der Macht des anderen durchaus bewusst, war aber nicht gewillt, sich davon
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