Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
von alledem hielt.
Es wurde eine lange, ausführliche Epistel voller Wut und Enttäuschung. Erst als er geendet hatte, sah Leonardo, wie sehr seine Aufgebrachtheit seine ohnehin schon bedenkliche Handschrift verzerrt hatte. Das war für niemanden mehr zu entziffern. Eisern machte er sich daran, den Brief noch einmal langsam und deutlich abzuschreiben, hielt aber schon nach wenigen Sätzen inne.
Grübelnd starrte er auf das jetzt dunkle Fenster zur Halle. Die Arbeit war für den heutigen Tag beendet und die Lampen und Fackeln waren gelöscht worden.
Leonardos Zorn war verraucht, sein Gift mit jedem scharfen Wort, das er hingekritzelt hatte, verspritzt. Den Brief zu verschicken war sinnlos. Er riskierte damit allenfalls, bei Il Moro in Ungnade zu fallen. Sein Fähnchen nach dem Wind zu richten war das einzig Vernünftige. Oder Mailand zu verlassen. Doch damit würde er praktisch alles aufgeben, was er sich aufgebaut hatte. Und er durfte nicht nur an sich denken. Es gab andere, deren Lebensunterhalt oder gar Existenz von ihm abhängig waren…
Missmutig zerriss er die beiden Briefe, nahm die brennende Öllampe und ging hinaus.
Es war Nacht, ein rauher Wind strich über den Innenhof der Corte Vecchia wie ein Vorbote, der anzeigen sollte, dass der Winter bereits einen Fuß in der Tür hatte.
Die in einen weiten Mantel gehüllte Gestalt, die im Schatten der Mauern auf das tönerne Reiterstandbild zuschlich, blieb kurz stehen, um zur hellen Mondsichel emporzuschauen. Eine große Eule flog lautlos wie ein geflügelter Geist von einem Turm auf der Südseite des Schlosses zu einem anderen gegenüber. Sonst rührte sich nichts.
Die dunkle Gestalt huschte zu den Vorderläufen des Riesenpferdes und zog einen schweren Hammer unter dem Mantel hervor. Ein letzter misstrauischer Blick zu den schwarzen Fensterhöhlen des Alten Hofes, dann holte der Mann – denn dass es ein Mann war, hätte man jetzt deutlich erkennen können – mit dem Hammer aus. Mit einem dumpfen Schlag traf er den linken Vorderlauf des Standbilds. Ein großes Stück Ton brach heraus und wurde ein gutes Ende weit weggeschleudert. Der Mann schlug erneut zu und wieder und wieder. Es waren wütende Schläge, ohne Sinn und Verstand, aber mit geradezu übermenschlicher Wucht ausgeführt. Als der Vorderlauf so dünn geworden war, dass ein letzter Schlag ihn mit großer Wahrscheinlichkeit ganz zerbrochen hätte, fiel der Zerstörungswütige über den anderen Vorderlauf her. Wieder flogen die herausgeschlagenen Tonscherben in alle Richtungen. Bis das Unvermeidliche geschah. Ein Knirschen und Knacken durchzog das Standbild, als risse die Erdkruste unter ihm auf, und das Pferd knickte in dem, was noch von seinen Vorderläufen übrig war, ein, als mache es einen Kniefall.
Der Mann warf den Hammer hin und sprang zurück, jedoch keinen Schritt weiter als nötig, um nicht erschlagen zu werden.
Mit einem Dröhnen, das weithin spürbar sein musste, schlug der Rumpf des tönernen Kolosses auf dem Boden auf, kippte zur Seite und krachte mit einem zweiten schweren Schlag auf die rechte Flanke. Die Figur des Reiters wurde vom Rücken des Pferdes geschleudert und blieb wie ein tödlich getroffener Soldat, mit blinden Augen zum Himmel emporstarrend, inmitten einer großen Staubwolke reglos auf dem Rücken liegen.
Der Mann hob den Hammer zwischen den Trümmern des gefällten Pferdes auf und verschwand, wie er gekommen war. Nur ging er jetzt mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf, als sei er völlig ermattet. Lautlos verschmolz er mit den Schatten, aus denen er hervorgetreten war.
»Ich verstehe nicht, dass du nichts gehört hast«, sagte Zoroastro. »Es hat einen solchen Schlag getan, als das Standbild einstürzte, dass wir allesamt geweckt wurden.« Er blickte auf Leonardo hinunter, der auf seiner Bettkante saß und das Gesicht in die Hände stützte, als schlafe er noch halb.
»Mein Zimmer geht ja nicht auf den Innenhof hinaus.« Leonardo schaute auf. »Hast du gleich dort nachgesehen?«
»Das war nicht nötig. Man konnte durchs Fenster sehen, was passiert ist.«
Leonardo zuckte die Achseln. »Es war ohnehin nur ein Modell. Und eine Bronze wäre ja doch nie daraus geworden.«
Zoroastros Blick wanderte zu den Schuhen, die Leonardo ungewöhnlich achtlos in einer Ecke seines Zimmers abgestreift hatte. Sie waren mit Staub überzogen, Tonstaub, wie es schien. »Und was willst du jetzt machen?«
Leonardo erhob sich. »Jetzt mache ich mich frisch und ziehe mich an.« Er
Weitere Kostenlose Bücher