Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
war.
Caterina nickte mit vorgestülpten Lippen. Lippen, die dünn und bläulich waren. »Ich hatte schon erwartet, dass du mir die Tür weisen würdest, aber…« Sie zog die Schultern hoch und schien ein wenig in sich zusammenzufallen. »Irgendwo muss man doch bleiben können, und ich wusste einfach nicht mehr…« Sie verstummte und senkte den Blick zu Boden.
Ich würde sie tatsächlich am liebsten abweisen, dachte Leonardo. Aber das konnte er nicht tun.
»Ich werde ein Zimmer für dich herrichten lassen. Platz haben wir hier genug, es ist nur alles ein bisschen heruntergekommen.«
Caterina nickte langsam. »Ich habe keine großen Ansprüche, Leonardo.«
»Vielleicht kannst du meiner Haushälterin hin und wieder helfen. Falls sie das zulässt. Mathurina ist recht… äh… eigensinnig.«
»Ich werde mich nützlich machen, wo ich kann, und mich fernhalten, wo ich nicht erwünscht bin.« Caterina schien zu erschrecken, als sie Leonardos Blick bei ihren letzten Worten sah. »Du hast es mir nie verziehen«, stellte sie fest.
»Hm, sagen wir, ich habe gelernt, dass nicht jedem unbedingt an seinen Kindern gelegen ist. Aber wer bin ich, dass ich mir ein Urteil darüber erlauben könnte, ob man dem eigenen Leben Priorität vor allem anderen geben darf? Ich habe keine Kinder, ich kann mich in derlei nicht hineinversetzen.«
Caterina steckte ihre Brille in die große Linnentasche, die sie bei sich hatte, und fragte quasi nebenbei: »Wie kommt es, dass du unverheiratet geblieben bist?«
»Nicht verheiratet zu sein hat durchaus etwas für sich. Die meisten bemerken das nur leider zu spät.«
»Ist das der wahre Grund?«
»Wenn du einen Moment hier wartest, schicke ich jemanden, der dir ein Zimmer zeigt. Vielleicht kannst du es dir selbst einrichten.« Leonardo ging zur Tür. »Ich muss wieder an die Arbeit. Möchtest du vielleicht etwas trinken?«
»Etwas Wasser genügt.«
»Ich veranlasse alles Nötige.«
Erleichtert zog Leonardo die schwere kupferbeschlagene Tür des Salons hinter sich zu und kehrte zu seiner Arbeit zurück. Aber sein Kopf war nicht mehr bei der Sache.
Zur feierlichen Ausstellung hatten sie das wahrhaft beeindruckende Tonmodell vom Sforza-Pferd mit aller technischen Raffinesse auf den Innenhof der Corte Vecchia gehievt, wo es nun inmitten flatternder Banner prangte. Das Eingangstor war einladend geöffnet.
Schon seit den frühen Morgenstunden strömten neugierige Mailänder in Scharen herbei. Jedermann in der Stadt schien das inzwischen schon berühmt-berüchtigte Reiterstandbild sehen zu wollen. Sogar Dichter und Musiker waren gekommen, um das einzigartige Werk mit eigens zu diesem Anlass gereimten und vertonten Liedern zu würdigen.
Leonardo hatte die Figur an strategischen Stellen stabilisieren lassen und damit jenen Besserwissern den Wind aus den Segeln genommen, die prophezeit und vielleicht auch gehofft hatten, der Ton würde nicht halten und das Ganze würde in sich zusammenstürzen. So dominierte die Statue nun in voller Größe den Innenhof und entlockte dem Publikum nicht enden wollende Bewunderungs- und Ehrfurchtsrufe.
»Das können sie dir nicht mehr nehmen«, sagte Zoroastro, der mit Leonardo zusammen aus einiger Entfernung zuschaute. »Und ich muss zugeben, dass ich selbst verblüfft bin, wo ich die Figur jetzt in ganzer Herrlichkeit dastehen sehe. Es kommen immer mehr Menschen. Wir hätten Eintritt erheben sollen.«
»Wie für eine ordinäre Theatervorstellung, meinst du?«
»Du machst keinen sehr glücklichen Eindruck. Man sollte eigentlich erwarten, dass du an einem Tag wie heute froher gestimmt wärst.«
»Ach, Zoro, Erwartungen haben auch unerquickliche Seiten. Genauso wie Sehnsüchte. Je weniger man ersehnt und erwartet, desto reicher kann man sich fühlen. Man ist nicht arm, weil man wenig besitzt, sondern weil man Sehnsüchte hat, die nicht zu befriedigen sind.«
In dem Moment kündigten Posaunen das Eintreffen des Regenten an. Die Menschen am Eingangstor machten eilig Platz, als ein Dutzend Reiter hereinritt. In ihrer Mitte Il Moro , in blitzweißem Rock, der sein dunkles Äußeres noch besonders unterstrich. Er saß ab, überließ sein Pferd blindlings einem Mann aus seiner Eskorte und schritt durch das Spalier der Schaulustigen auf das Reiterstandbild zu. Es wurde mucksmäuschenstill, als warteten alle auf sein Urteil.
Zoroastro fragte: »Gebietet es nicht die Höflichkeit, dass wir den hohen Herrn begrüßen gehen?«
Leonardo antwortete nicht, setzte sich
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