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Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Titel: Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Vermeulen
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hinausgeschleudert, als werfe ihn ein bockendes Pferd aus dem Sattel. Er landete in einer Rhododendronhecke, die den Aufprall größtenteils abfing, so dass er sich gleich wieder hochrappeln konnte. Er winkte flüchtig zu Salaì hinauf, der vom Dach aus ängstlich zuschaute, und widmete sich dann ganz den Wrackteilen der Flugmaschine, die im weiten Umkreis verteilt lagen.
    Er war aufgekratzt, denn der Test war nicht gänzlich fehlgeschlagen. Die Maschine war tatsächlich kurz gesegelt. Zwar nur ein kleines Stück, aber sie war nicht einfach von oben heruntergefallen. Es musste also möglich sein, die Maschine so zu verbessern, dass sie länger und weiter segeln und sicher landen konnte. Vielleicht sollte er auch vorerst mit starren Flügeln arbeiten, bis der Gleitflug besser funktionierte, und dann…
    Leonardo schaute auf, als Salaì herbeigerannt kam, schneller, als er ihn je hatte rennen sehen. »Ich hatte recht«, sagte er zu dem keuchenden Jungen. »Menschen können fliegen…«

20

Schön auf die Schnauze gefallen mit Deinem Mammutpferd, mein bester Leonardo? Hochmut kommt vor dem Fall, heißt es doch, nicht wahr? Im wahrsten Sinne des Wortes. Ja, auch in Florenz wird herzlich darüber gelacht. Lass mich doch bitte rechtzeitig wissen, was Du als Nächstes planst, denn wir sind hier immer für einen guten Witz zu haben.
Dein Dir wie immer gewogener
Pietro Vannucci
    Leonardo starrte auf den Brief, den ihm ein Kurier gebracht hatte, bis der Text vor seinen Augen zu verschwimmen begann. Seltsamerweise ließ die Häme Vannuccis ihn völlig kalt. Vielleicht, weil er schon so lange nichts von seinem alten Widersacher aus Florenz gehört hatte. Es wunderte ihn höchstens, dass dieser offenbar immer noch das Bedürfnis hatte, sein Gift gegen ihn zu verspritzen.
    Vannucci hatte ihn von jeher beneidet. Um sein Talent oder sein Aussehen oder was auch immer. Missgunst war es, was ihn so unausstehlich gemacht hatte. Dass Leonardo Erfolge verbuchte und sich der Gunst Ludovico Sforzas erfreute, musste Vannucci auch jetzt noch ein schrecklicher Dorn im Auge sein.
    Einen Moment lang fühlte Leonardo sich versucht, Vannucci einen übertrieben freundlichen Brief zurückzuschreiben, doch dann beschloss er, einfach gar nicht zu reagieren. Es war die Mühe nicht wert. Er zerknüllte den Brief und warf ihn weg, wie er schon so manches aus seiner Vergangenheit einfach weggeworfen hatte.
    »Was war denn das für ein Schreiben, oder geht mich das nichts an?«
    Leonardo schaute zu Salaì auf, der unbemerkt näher gekommen war und sich jetzt neben ihn auf die Bank im Klostergarten plumpsen ließ, auf der Leonardo wie gewöhnlich saß und auf das Wasser des Teichs starrte.
    »Das geht dich nichts an.«
    Salaì nickte ergeben. »Ich wollte heute Nacht zu dir kommen, aber du hast geschnarcht wie ein Pferd mit verstopften Nüstern. Da habe ich dich lieber schlafen lassen.«
    Recht so, dachte Leonardo. Er hatte mit der Wandbemalung im Refektorium der Abtei Santa Maria delle Grazie begonnen, ein Auftrag von Il Moro , der hier ein Sforza-Mausoleum einzurichten gedachte. Die Südwand hatte schon Donato di Montorfano mit einem Kreuzigungsfresko versehen. Für die gegenüberliegende Wand wünschte sich der Regent von Leonardo eine Darstellung des Cenacolo , des Letzten Abendmahls, im Florentiner Stil. Die Arbeit war nicht nur anstrengend, sondern sie kostete ihn auch oft schlaflose Nächte. Er verstand selbst nicht so recht, was ihn dazu veranlasste, die Darstellung so minutiös auszuarbeiten, dass man meinen konnte, er wolle das Letzte Abendmahl wieder aufleben lassen. Vielleicht musste er sich nach der Niederlage mit Sforzas Reiterstandbild beweisen, was er konnte. Vielleicht war es auch einfach Konkurrenzdruck, und er wollte das Werk Donato di Montorfanos an der anderen Wand in den Schatten stellen. Jedenfalls trieb ihn irgendetwas dazu an, das Äußerste aus sich herauszuholen. Es wäre praktisch, wenn ich an Gott glaubte, dachte er nicht zum ersten Mal. Dann könnte ich mir einbilden, es sei Sein Wille, dass ich das Cenacolo so lebensecht wie möglich male…
    Er wurde sich plötzlich bewusst, dass Salaì etwas gesagt hatte. »Wie bitte?«
    »Ich fragte, ob du einen neuen Freund hast.«
    Leonardo runzelte die Stirn. »Wieso?«
    »Na, dieser Grünschnabel schaut doch dauernd zu, wenn du in der Abtei arbeitest.«
    »Meinst du Matteo?«
    »Seinen Namen kennst du jedenfalls!«
    »Matteo ist noch ein Kind, Salaì. Ein Novize. Ihn fasziniert meine

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