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Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Titel: Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Vermeulen
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Steigen und Fallen der See.«
    »Unumgänglich?«
    »Ich mache mir Gedanken darüber, wie Regierende diese Gesetzmäßigkeit durchbrechen könnten. Der Schlüssel liegt meiner Meinung nach im permanenten Streben nach Machterweiterung. Das ist, wie ich meine, das Wesen der Politik. Zur Erreichung dieses Ziels sind alle Mittel erlaubt, der Erfolg ist der einzige Maßstab, der zählt. Aber jeder Machthaber stößt dabei früher oder später an Grenzen, und dann beginnt der Abstieg. Doch worin bestehen diese Grenzen? Wie kommen sie zustande? Wer bestimmt, wie weit ein Eroberer gehen kann?«
    Leonardo setzte seinen Humpen an die Lippen. »Gott?«
    Machiavelli nickte. »Wie schön, wenn man daran glaubte! Da bräuchte man sich nicht mehr den Kopf zu zerbrechen und nach komplizierten Erklärungen zu suchen.«
    »Megalomanie ist eine Krankheit, und je kränker ein machtgieriger Herrscher, desto weiter kommt er, oder wie?«
    »Ich fürchte, das wäre zu leicht.«
    »Sie glauben also nicht an simple Tatsachen?«
    »Nicht, wenn es um Menschen geht. Jeder Mensch hat seine eigenen Absonderlichkeiten und seine speziellen Bedürfnisse. Wir ertragen es zwar im Allgemeinen nicht, einsam und allein zu sein, sind aber genügend andere um uns herum, beginnen wir einander die Schädel einzuschlagen.«
    »Dafür genügen schon zwei«, meinte Leonardo verdrossen. Er nahm noch einen Schluck aus seinem Humpen. »Manchmal denke ich, es war ein Versehen der Natur, uns mit Verstand auszustatten.«
    »Nein, das Versehen bestand darin, uns zu wenig Verstand zu geben, so dass wir nicht einsehen, wie dumm wir eigentlich sind.«
    »Amen«, sagte Leonardo. Er hob seinen Humpen. »Auch noch ein Bier?«
    »Lieber nicht, danke. Zu viel Bier macht mich zynisch, und mit Zynismus ist weder mir selbst noch anderen gedient.« Machiavelli erhob sich. »Ich reise bald nach Florenz zurück. Vielleicht sehen wir uns ja dort irgendwann wieder?«
    »Vorläufig nicht. Ich plane zunächst noch einen Besuch in Venedig, wo man offenbar Ingenieure benötigt.«
    »O ja, sie wollen neue Befestigungsanlagen errichten lassen, die einem möglichen Angriff der Türken standhalten können.« Machiavelli hängte sich seinen Mantel um die Schultern. »So treibt uns immer irgendetwas um. Hoffentlich auf ein Wiedersehen, Meister da Vinci.«
    Er ging hinaus und zog schnell die Tür hinter sich zu, als wolle er der Kälte keine Gelegenheit geben, sich hineinzustehlen.
    Leonardo schaute ihm noch durchs Fenster nach, wie er eiligen Schrittes den Markt überquerte und zwischen den Ständen verschwand. Da er nicht wieder auftauchte, war er wohl in eine der dahinterliegenden Gassen abgebogen.
    Ein sehr eigener Mann, dachte Leonardo. Mit einem sehr eigenen Steckenpferd. Für ihn selbst war Politik etwas, was über einen kam, einem Blitzschlag oder irgendeinem anderen Unheil vergleichbar, gegen das man wenig ausrichten konnte. Zeitvergeudung für einen Denker.
    Er verbannte die Begegnung aus seinem Kopf und winkte dem Wirt, dass er ihm noch einen Humpen Bier bringen solle.

24

    Isabella d’Este hatte drei Tage auf sich warten lassen. Sie schien genau zu wissen, wie weit sie gehen konnte, ohne den Bogen zu überspannen, denn Leonardo war kurz davor, seine Zelte abzubrechen und nach Venedig weiterzureisen, als er in denselben Salon bestellt wurde, in dem die Markgräfin ihn beim ersten Mal empfangen hatte.
    »Sie dürfen jetzt anfangen«, sagte sie zur Begrüßung.
    Leonardo, der sich vorgenommen hatte, nicht mehr auf ihre Spitzen anzuspringen, erkundigte sich mit gespielter Höflichkeit: »Hattet Ihr eine angenehme Reise, Exzellenz?«
    »Nein.« Sie erklärte nicht, warum. Wahrscheinlich war es ihr zu kalt gewesen.
    Ohne Leonardo anzusehen, trat sie vor einen kleinen, runden Spiegel, um ungeduldig ihre Frisur zurechtzuzupfen. »Haben Sie inzwischen einen Raum ausgewählt, in dem Sie mich zu malen wünschen?«
    Er bemerkte mit Interesse, dass sie keine Ringe trug. Sein Rat hatte wohl Eindruck gemacht.
    »Vorab solltet Ihr wissen, dass sich meine Arbeit zunächst auf das Zeichnen eines Kartons beschränken wird, Exzellenz.« Er ignorierte den Blick, den sie ihm über den Spiegel zuwarf, ein Blick, von dem eine Kälte ausging, wie sie ein offenstehendes Fenster im Winter ausstrahlte. »Das werde ich so detailliert tun, dass ich das Porträt später malen kann, ohne dass Ihr noch dafür zu posieren braucht.«
    »Und warum dieser Umweg?«
    »Ich werde demnächst zu wichtigen Arbeiten in

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