Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
Venedig erwartet.«
Isabella d’Este wandte sich vom Spiegel ab. »Und diese Arbeiten sind dringlicher als mein Porträt?«
»Nach Eurer dreitägigen Abwesenheit zu schließen habt Ihr es selbst nicht so eilig damit.«
»Ich hatte ebenfalls Dringlicheres zu tun.«
»Nun denn, offenbar ist uns beiden leider nicht die Freiheit vergönnt, uns ausschließlich mit dem zu befassen, was uns am meisten am Herzen liegt.«
»Ich bin mir bewusst, dass man einen Künstler zu nichts zwingen kann, das kann ja angeblich nur die Muse.« Allem Anschein nach fand Isabella d’Este sich wohl oder übel damit ab. »Wie geht es Ihrem Gesellen?«
Leonardo ließ sich von dem unerwarteten Seitenhieb nicht überrumpeln. »Ausgezeichnet, vielen Dank. Wir wissen die gute Unterbringung zu schätzen.«
»Von der Sie aber nicht lange Gebrauch machen wollen.«
»So lange wie nötig, um den Karton zu zeichnen, Exzellenz. Wir reisen nur ungern ab, aber wie ich schon sagte…«
»Ja, ja. Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet.«
»Eure Frage?«
»Wo Sie mich posieren sehen wollen.«
»Ach ja… Was halten Sie vom Treppenaufgang?«
Die Markgräfin zog die Stirn kraus. »Vom Treppenaufgang?«
»Ich würde Euch gern am Geländer stehend abbilden. Und dank des großen Fensters ist das Licht dort hervorragend.«
»Und der Hintergrund?«
»Der kann später ergänzt werden. Habt Ihr einen bestimmten Wunsch? Eine Landschaft? Der Po vielleicht?«
Isabella d’Este forschte argwöhnisch in Leonardos Gesicht, wie sie den gefälligen Verkäuferton deuten sollte, den er plötzlich angeschlagen hatte. »Möglichst neutral, damit die Aufmerksamkeit nicht von meinen Zügen abgelenkt wird. Wie ich ja auch meine Ringe ablegen sollte, um nicht von meinen vollendeten Händen abzulenken.« Sie hob demonstrativ die Hand.
»Ich fühle mich geehrt, dass Ihr Euch meine Worte gemerkt habt. Auch deswegen ist mir das Geländer lieb. Darauf lassen sich Eure Hände bestmöglich zur Geltung bringen.«
»Und meine Füße?«
»Was ist mit Euren Füßen?«
»Schöne Hände, schöne Füße, das gehört doch meistens zusammen, wie Sie als Maler wissen werden.«
»Ich zweifle nicht an der Zierlichkeit Eurer Füße, Exzellenz. Aber damit kämen wir zu einem ganz anderen Bild.«
»Einem Akt, meinen Sie?«
Leonardo ließ sich auch jetzt nicht verblüffen. »Nicht unbedingt. Der Körper muss nicht nackt sein, um die Füße, zum Beispiel in Sandalen, zur Schau stellen zu können. Unter schön drapierten Tüchern sieht das ungemein elegant aus. Und für den Faltenwurf der Gewänder auf meinen Gemälden genieße ich eine gewisse Berühmtheit, wenn ich das in aller Bescheidenheit erwähnen darf.«
Die Markgräfin gab sich geschlagen. »Belassen wir es lieber bei einem Porträt, wie vorgesehen.«
»Ich habe Antwort auf mein Schreiben an die Herren des Senats von Venedig erhalten«, sagte Leonardo wenige Tage darauf zu Salaì. »Sie können mein Kommen gar nicht mehr erwarten. Wir reisen also ab, sobald ich den Karton für das Porträt von der Marchesa fertig habe.«
Die beiden saßen in ihrem Zimmer und warteten darauf, dass man sie wie gewöhnlich zum Essen in die Schlossküche rufen würde.
»Na, das kann sich noch eine Weile hinziehen, wenn Euer Hochwohlgeboren es sich einfallen lässt, hin und wieder für ein paar Tage zu verschwinden.«
»Sie hat einen großzügigen Vorschuss bezahlt, Salaì. Den kann sie zurückfordern, wenn sie nichts dafür bekommt.«
»Ich bitte dich, so arm bist du doch nun auch wieder nicht!«
»Mein Geld liegt bei der Bank in Florenz, an das komme ich von hier aus nicht ohne weiteres heran. Außerdem könnte mir die Marchesa große Unannehmlichkeiten bereiten, wenn sie ihre Beziehungen spielen lässt.«
Leonardos Gedanken taten einen Sprung zu Ludovico Sforza und von diesem zu seinem Haus in Mailand, wo er unter vielem anderen auch einige Zeichnungen zurückgelassen hatte, die nicht über das Stadium des Kartons hinaus gediehen waren. Er hoffte, dass Sforza nicht womöglich die Übereignung rückgängig machen und das Haus beschlagnahmen würde, wenn er nach Mailand zurückkehrte. Aber warum sollte er das tun, er hatte ihm doch nichts getan! Er war nur an einen ruhigeren Ort geflüchtet. Wie Il Moro selbst.
»Zuerst der Karton«, sagte er noch einmal entschieden. »Dann reisen wir ab.«
Aber auch er brannte darauf, nach Venedig abzureisen, wo er endlich wieder einmal seine technische Erfindungsgabe zur Anwendung bringen
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