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Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Titel: Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Vermeulen
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konnte.
    Es wurde Ende Februar, bis der Karton für das Porträt von Isabella d’Este so weit abgerundet war, dass er als Grundlage für das Gemälde genügte. Die Vorzeichnung in Rötel und schwarzer Kreide war recht groß geworden und feiner ausgearbeitet als für einen Karton üblich. Wie um Isabella für ihre herablassende und herrische Art zu bestrafen, hatte Leonardo ihre Züge wirklichkeitsgetreu abgebildet und nicht geschmeichelt, wie es die meisten Künstler taten, um ihre Auftraggeber nicht zu vergrämen. Und nicht nur Isabellas Züge, sondern auch ihr Charakter kamen nun in der Arbeit deutlich zum Ausdruck, wie Leonardo selbst fand. Am augenscheinlichsten war ihre Verwöhntheit, doch ihre Klugheit hatte Leonardo auch nicht unterschlagen, zumal sie dem Gesamteindruck noch einen Anstrich von Gefährlichkeit verlieh.
    Eigenartigerweise hatte Isabella offenbar nichts an dem doch keineswegs schmeichelhaften Bild auszusetzen, das Leonardo von ihr gezeichnet hatte. Sie schien durchaus damit zufrieden zu sein.
    Sie ist stolz auf sich und ihre Art, ging Leonardo auf. Sie hat es gar nicht nötig, dass man ihr Blumen zuwirft. Seine so realistische Wiedergabe war also vielleicht ein Fehler gewesen. Er hätte sie schmerzlicher getroffen, wenn er sie schwärmerisch mit einer übernatürlichen, engelsgleichen Schönheit ausgestattet hätte. Aber das verstieß zu sehr gegen sein eigenes Empfinden.
    Vor seiner Abreise bescherte Isabella d’Este Leonardo noch zwei weitere Überraschungen. Zum einen lud sie ihn zu einer Art Abschiedsessen an ihren Tisch, und zum anderen stellte sie ihn bei diesem Anlass ihrem Gemahl vor.
    Leonardo hatte sich so sehr daran gewöhnt, Isabella immer nur allein zu begegnen, dass der Markgraf für ihn schon etwas Schemenhaftes angenommen hatte, als gäbe es ihn gar nicht wirklich.
    Francesco Gonzaga war tatsächlich etwas kleiner als seine Frau, und das, obwohl er Schuhe mit ungewöhnlich dicken Sohlen trug. Beeindruckend an ihm waren dafür sein mächtiger Schnauzbart und seine graue Lockenpracht. Und sein Rock glitzerte silbrig im Licht der vielen Kerzen auf dem Tisch und im Lüster an der Decke. Gonzaga studierte ihn zwar hin und wieder interessiert, war aber nicht sehr gesprächig. Das bedauerte Leonardo, denn der weitgereiste Marchese musste doch bestimmt reichlich Erzählstoff haben. Außerdem löste Gonzagas Gegenwart bei ihm selbst eine gewisse Zurückhaltung aus, so dass es auch seiner Unterhaltung mit Isabella d’Este an der üblichen Spitzfindigkeit mangelte.
    Graf und Gräfin saßen ihm am Tisch gegenüber, weitere Gäste waren nicht geladen. Auch Salaì nicht. Zum Glück gab es einen vortrefflichen gegrillten Zander aus dem Po und einen erlesenen französischen Wein, so dass wenigstens über Zunge und Gaumen für eine gute Stimmung gesorgt war. Fleisch kam nicht auf den Tisch, obwohl Leonardo der Gräfin gegenüber nie erwähnt hatte, dass er Vegetarier war. Aber wahrscheinlich hatte sie das vom Küchenpersonal erfahren. Andererseits konnte er sich schwer vorstellen, dass Isabella ihn schonen würde, wenn sie wüsste, dass sie ihn mit blutigen Fleischzubereitungen quälen könnte. Es musste also Zufall sein, dass es Fisch gab.
    Als Francesco Gonzaga endlich doch einen Beitrag zum Tischgespräch lieferte, handelte es sich um eine weniger erbauliche Nachricht. »Ich sprach unlängst mit jemandem, der gerade aus Mailand kam«, begann er, ohne Leonardo anzusehen, während er sich mit dem Handrücken den Mund abwischte. »Er hatte mit angesehen, wie die französischen Soldaten dort wüteten.« Jetzt fixierte er Leonardo. »Vor allem in der Corte Vecchia sollen sie schlimm gehaust haben.«
    »Dort hatte ich meine Werkstatt.«
    Der Marchese nickte, als sei ihm das bekannt. »Sforzas Pferd…« Er klaubte mit Zeige- und Mittelfinger ein Stückchen Fisch von seinem Teller und schob es sich in den Mund. »Köstlich, mein Kompliment an die Köchin!«
    »Ein Projekt, das sich buchstäblich zerschlagen hat«, ergänzte Leonardo, als Gonzaga nicht weitersprach.
    Der Marchese forschte in Leonardos Gesicht. »Sie scheinen das aber nicht sonderlich schwerzunehmen.«
    »Ach, ich hänge nicht an leblosen Dingen«, erwiderte Leonardo. »Das habe ich mir schon als Kind abgewöhnt.«
    »Auch nicht an Ihren eigenen Werken?«
    »Auch nicht an meinen eigenen Werken. Das bewahrt vor vielen Enttäuschungen und bösen Überraschungen.« Leonardo sah Isabella d’Este an. »An Dingen zu hängen, weil sie

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