Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
kostbar oder schön sind oder an irgendetwas erinnern, macht verletzbar. Ich schätze mich glücklich, dass mir Besitz relativ gleichgültig ist, solange ich nicht hungern muss und ein Dach über dem Kopf habe. Das empfinde ich als große Freiheit.«
»Für mich besteht die größte Freiheit darin, so reich zu sein, dass man sich nie zu fragen braucht, ob man sich die eigenen Wünsche und Ansprüche leisten kann oder nicht«, konterte die Markgräfin. »Unbefriedigte Wünsche machen unruhig und stören den Schlaf.«
»Und was, wenn Wünsche sich nicht mit Geld erfüllen lassen?«
»Solche Wünsche gibt es nicht.«
»Ach nein?« Leonardo war drauf und dran, ihr ins Gesicht zu sagen, dass sie ihn niemals dazu würde bringen können, ihr Porträt fertigzustellen, wenn er es nicht wollte, selbst wenn sie ihm ein Vermögen dafür böte. Doch er sah davon ab, als er Gonzagas Blick auffing, der ihn zu warnen schien, nur ja nichts Unbedachtes zu äußern.
»Nein«, beharrte Isabella d’Este herausfordernd. »Und kommen Sie mir jetzt nicht mit abstrakten Begriffen wie Liebe und derlei Unsinn.«
»Ich wusste gar nicht, dass Liebe ein abstrakter Begriff ist!«
»Kommt darauf an, was man darunter versteht. Die Liebe zu schönen und teuren Dingen und gutem Essen und Trinken ist durchaus konkret. Die Liebe freilich, die Menschen wie Sie vor Augen haben, ist ein Hirngespinst. Es ist nicht mehr als ein Vertrag, was Mann und Frau in der Ehe vereinigt, ein Vertrag, der Greifbares wie Besitz und Erbe und Beischlafsrecht oder -pflicht regelt.« Isabella schnaubte vielsagend. »Alles andere ist ein Märchen von Troubadouren und Theaterdichtern zum Zeitvertreib derer, die nichts Besseres zu tun haben.«
»Und Ihr habt nicht das Gefühl, dass Euch etwas fehlt?«
»Mir fehlt jenes eine Bild eines Florentiner Meisters, das meine Sammlung vervollständigt.«
»Ist es nicht schön, sich noch auf etwas freuen zu können?«
»Vielleicht, wenn es nicht zu lange auf sich warten lässt.« Die Markgräfin spießte ein Stück Fisch auf die Spitze ihres Silbermessers und schob es sich in den Mund, bevor sie Leonardo anfunkelte. »Stellen Sie meine Geduld nicht zu lange auf die Probe, Meister da Vinci.«
Es klang nicht wie eine Drohung, was Leonardo leicht erstaunte, sondern fast wie ein legitimes Ersuchen. Vielleicht hatte der Wein, den sie in großen Mengen trank, eine besänftigende Wirkung auf sie. Diese Illusion wurde indes sogleich wieder zerstreut, als die Markgräfin leise hinzufügte: »Und ich weiß jeden aufzuspüren, immer und überall.« Dazu lächelte sie zuckersüß.
Der Marchese räusperte sich. »Ich hörte, dass Christoph Kolumbus ein weiteres Mal gen Westen gefahren ist«, sagte er, deutlich bemüht, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben. »Mit sechs Schiffen diesmal. Ich bin gespannt, welche Inseln er jetzt wieder entdecken wird. Vorausgesetzt, er kommt noch dazu, denn er soll oft Ärger mit seinen Besatzungen haben.«
»Es wäre nichts Neues, wenn ein Mensch, der weiter blickt, als seine Nase lang ist, vom gemeinen Mann geschmäht wird«, sagte Leonardo. »In der Tierwelt sind es jeweils die Schlauesten, die als Führer anerkannt werden, doch bei den Menschen ist es in der Regel genau andersherum.«
Isabella d’Este leerte ihren Römer und ließ ihn sich von einer der beiden Dienstmägde, die an der Tür bereitstanden, sogleich wieder füllen. »Er dachte, er sei auf dem Weg nach China, und stieß auf ein paar unbekannte Inseln, bewohnt von Wilden, die noch nie von China oder Indien gehört haben. Wie schlau muss man dafür sein?« Sie sah ihren Gemahl an. »Ich hätte gern ein Souvenir von einer dieser neuen Inseln. Meinst du, du könntest mir eines besorgen?«
»Ich werde mein Bestes tun«, antwortete der Marchese ergeben. Er wandte sich Leonardo zu. »Wie gedenken Sie nach Venedig zu reisen, wenn ich fragen darf?«
»Mit Pferd und Wagen, entlang der üblichen Hauptroute.«
Der Marchese nickte. »Seien Sie auf der Hut vor französischen Soldaten! Sie lauern praktisch überall auf Reisende, die ohne Eskorte unterwegs sind und sich daher als leicht auszuraubende Opfer anbieten.«
Leonardo zuckte die Achseln. »Ich habe nicht viel Geld bei mir.«
»Dann rauben sie einem das Leben, eh man sich’s versieht.«
»Ich werde dafür beten, dass Sie unversehrt bleiben«, sagte Isabella d’Este. »Es wäre doch zu schade, wenn ich mein Porträt nie bekäme.« Sie legte ihr Messer hin und sah Leonardo mit
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