Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
und einen ungewöhnlich großen Krug Bier für ihn selbst brachte, um sich seine Antwort zu überlegen. »Gebt mir ein paar Tage Zeit, mich mit der Umgebung vertraut zu machen und Euch, so möglich, ein wenig zu studieren, Exzellenz.«
»Sie nehmen den Auftrag also an?«
Hatte er eine Wahl? Isabella schien ihm imstande zu sein, ihn verhaften zu lassen, wenn er es wagen sollte, sich heimlich davonzustehlen. Er verspürte plötzlich fast so etwas wie Heimweh nach Il Moro .
Isabella d’Este sah sein Zögern. »Besonders bereitwillig sind Sie nach wie vor nicht«, konstatierte sie gelassen. Sie nippte an ihrem Wein, zog ein bedenkliches Gesicht, als stelle der Geschmack sie nicht zufrieden, und stellte den Römer auf einem niedrigen Marmortischchen in ihrer Reichweite ab. »Künstler lassen sich selten zwingen, aber für Geld sind sie zum Glück in der Regel zu haben«, sagte sie ohne die leiseste Ironie.
»Wir benötigen auch eine Unterkunft, Exzellenz«, warf Leonardo vorsichtig ein.
»Wir? Wer sind wir?«
»Mein Geselle und ich.«
»Ihr Geselle?«
»Ein junger Mann, der bei mir in die Lehre gegangen ist.«
Isabellas Ton wurde plötzlich scharf. »Ich will ein Porträt von Ihrer Hand, und zwar vom ersten bis zum letzten Pinselstrich! Und ich versichere Ihnen, dass ich über den nötigen Sachverstand verfüge, um Unterschiede sofort zu erkennen.«
»Salaì wird sich lediglich mit der Vorbereitung von Tafel und Farbe befassen, Exzellenz.«
»Salaì? Ist das nicht…«, sie schaute nachdenkend zur Decke, »ein Dämon oder dergleichen?«
Leonardo nickte. »Als Kind war er in der Tat ein kleiner Teufel.«
»Ihr Geselle, sagten Sie. Wie darf ich das verstehen?«
»Ein Geselle ist ein vollwertiger Mitarbeiter im Dienste eines Meisters, das heißt…« Leonardo verstummte, als Isabella die Augen verdrehte.
»Versuchen Sie bitte nicht, mir Lektionen zu erteilen, um die ich nicht gebeten habe«, sagte sie kühl und erhob sich. Den Lakaien, nach dem sie geläutet hatte, wies sie an: »Zeig Meister da Vinci sein Gastzimmer, und begleite ihn danach hinaus.« Sie warf Leonardo einen Blick zu, den er nicht gleich zu deuten wusste. »Ich nehme an, dass ein Zimmer für Sie beide genügt?«
Leonardo nahm sich noch einen Tag Zeit, bevor er mit Salaì im Schloss einzog. Er war im Zwiespalt. Einerseits schien ihm, er wäre besser in Mailand geblieben, als sich den Ansprüchen und Launen Isabella d’Estes auszusetzen, andererseits begann ihn die Gräfin zu faszinieren. Er hatte schon mit etlichen großen Geistern verkehrt und dabei vor allem ausgekostet, mit ihnen auf gleicher Höhe über Fragen reden und diskutieren zu können, mit denen sich der Durchschnittsmensch nicht befasste. Isabella d’Este verfügte offensichtlich auch über ein großes Wissen, aber an ihr beeindruckte ihn zudem die Spitzfindigkeit – oder Giftigkeit, wie er es insgeheim nannte. Damit hatte sie ihn schon ein paarmal in Verlegenheit gebracht, und das kam bei ihm nur selten vor.
Vielleicht war das eine weibliche Eigenheit. Frauen verfügten bisweilen über eine Geschliffenheit, die Männern im Allgemeinen fremd war. Als beschreite ihr Denken andere Wege, verschlungene, aber effektive Wege, und überrumpelte dadurch die behäbigeren Männer. Das galt zumindest, solange die Frau nicht im Schatten eines Ehemannes lebte.
Aber auch Mantua gefiel Leonardo. Nach dem Trubel in Mailand war die Ruhe hier wohltuend.
»Euer Hochwohlgeboren hat dich also am Haken«, stellte Salaì fest, als Leonardo im Gasthaus abgerechnet hatte und sie Pferd und Wagen aus dem Stall holten. Es klang vorwurfsvoll.
Leonardo wusste, dass er eifersüchtig war. Salaì war immer eifersüchtig auf die, die Leonardos Interesse weckten und von ihm ablenkten. Wie ein kleines Kind, das unartig wurde, wenn Papa und Mama nicht nur ihm ihre Liebe schenkten. Leonardo fand das ermüdend. Er selbst hatte es als Kind nie erfahren, dass ihm Beachtung geschenkt wurde. Wenn seine Arbeit Beachtung fand, fühlte er sich hin und wieder geschmeichelt, doch wenn sie seiner eigenen Person galt, bereitete ihm das eher Unbehagen.
»Vielleicht solltest du dich einmal für eine Weile als Porträtmaler auf den Markt setzen«, entgegnete er enerviert. »Dann lernst du endlich, was es heißt, wenn man sich sein Brot selber verdienen muss.«
Salaì sah ihn beunruhigt an, ob es ihm womöglich ernst damit war. »Willst du mich loswerden?«
»Ach, hör doch auf mit dem Unsinn.«
Leonardo warf seine Tasche
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