Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
scheinbar fromm gefalteten Händen an. »Stimmt es, dass Sie sich auf das Spiel der lira da braccio verstehen?«
Leonardo schaute rasch zu Gonzaga hinüber, doch der schien mit seinen Gedanken anderswo zu sein. »Das stimmt, ja. Und ich baue auch Instrumente.«
»Nun, ich spiele auch ganz leidlich. Meine frotolle auf der Lira finden in der Regel großen Anklang. Wollen wir uns nachher einmal messen?«
Normalerweise wäre Leonardo nur zu gern auf Isabellas Herausforderung eingegangen, doch er musste mit aufrichtigem Bedauern passen: »Nichts lieber als das, Exzellenz. Doch ich leide seit einer Weile unter Gelenkschmerzen im Arm und fürchte, dass ich den Bogen nicht nach Gebühren führen könnte.«
Isabella zog ein argwöhnisches Gesicht, nickte dann aber seufzend. »Dann vielleicht ein anderes Mal.«
Ja, dachte Leonardo. Vielleicht…
Eingedenk der Warnung des Marchese blieben Leonardo und Salaì auf der Fahrt nach Venedig ganz gegen ihre Gewohnheit möglichst nicht für sich, sondern schlossen sich anderen Reisenden an. Es war üblich geworden, kleine Konvois zu bilden, denn die wurden von Soldaten und Strauchdieben in der Regel nicht behelligt.
März war es inzwischen geworden, die Winterkälte war vorüber, und Bäume und Sträucher trieben wieder Knospen aus. Venedig empfing sie mit einer noch strahlenden Nachmittagssonne, welche die Stadt, die aus mehr als hundert durch zahlreiche Brücken miteinander verbundenen kleinen Inseln bestand, in ein wunderschönes goldenes Licht tauchte. Unweit der Basilica di San Marco fanden sie ein Gasthaus.
Als sie sich in der Wirtsstube Bohnen, Tomaten und Brot schmecken ließen, sagte Salaì beiläufig: »Hier könntest du dir ja auch Verrocchios Reiterstandbild von Colleoni ansehen!«
Leonardo reagierte wenig erbaut. »Was weißt du denn von dem Standbild?«
»Du hast zu gegebener Zeit mehr als nur einmal davon gesprochen. Vom Lehrling, der den Meister überflügelt, hast du dabei auch geredet, erinnerst du dich?«
Leonardo schob den Teller von sich und griff zu seinem Becher Wein. »Das ist alles vergessen und vorbei, Salaì.«
»Ich würde mir das Standbild aber gerne einmal ansehen, wo wir jetzt schon hier sind.«
»Dazu wirst du in den kommenden Tagen ohne mich noch Zeit genug haben.«
»Was hast du vor?«
»Ich werde mich erkundigen, wann der Senat zu Rate sitzt«, antwortete Leonardo. Er erläuterte das nicht weiter, denn für ernsthafte Gespräche war Salaì nicht der geeignete Partner.
Im Grunde müssten sie auch den Zugang zur Adria versperren, dachte Leonardo. Mit einem schwerbewaffneten Wehr, etwa zwischen Lecce und dem albanischen Vlorë. Dann wäre die gesamte Adriaküste vor den Flotten der Türken oder anderer möglicher Eroberer geschützt. Das musste bautechnisch durchaus zu verwirklichen sein. Aber leider würde die Politik so ein Großprojekt vereiteln. Denn Italien war in viele Machtzentren aufgeteilt, wo man sich lieber für kurzfristige regionale Lösungen entschied, zum Beispiel die, sich gegenseitig zu bekriegen.
Leonardo saß auf einem großen Stein rechts der Mündung des breiten Isonzo, die mehrere Tagesritte von Venedig entfernt westlich von Triest lag. Die Türken hatten diesen Fluss bereits einmal überschritten und waren nur schwer von den venezianischen Truppen zurückzuschlagen gewesen. Nun wollte der Senat die Isonzo-Region befestigt wissen, und Leonardo sollte die Möglichkeiten einer künstlichen Überflutung des gesamten Flusstals im Falle einer drohenden Invasion prüfen.
Leonardo öffnete die mitgebrachte Ledertasche, nahm Papier und Stift und Messwerkzeug heraus und ging zum Wasserrand, um mit seinen Vermessungen zu beginnen. Er würde auch mit den Bewohnern der Region sprechen müssen, um weitere Informationen über das Verhalten des Flusses zu sammeln. Und er musste etwas finden, wo er essen und übernachten konnte, denn er würde hier nicht im Handumdrehen fertig sein. Das sorgte ihn freilich nicht, denn man hatte ihm versichert, dass die örtlichen Bauern und Fischer ihm gewiss bereitwillig helfen würden, wenn sie erführen, dass seine Bemühungen unter anderem ihrem Schutz dienen sollten.
Im Anschluss an seine Arbeiten hier würde er sich noch einen Überblick verschaffen müssen, auf welchem Wege Truppen und schwere Geschütze schnellstmöglich hierhergelangen konnten. Der Auftrag war lukrativ, wie meistens, wenn es um militärische Zwecke ging. Dafür hatten Machthaber immer mehr Geld übrig als für andere
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