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Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Titel: Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Vermeulen
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Projekte. Wer klug war, wusste das auszunutzen.
    Leonardo blieb gut drei Wochen in der Region, bevor er nach Venedig zurückkehrte, um seine Zeichnungen auszuarbeiten und den Senatsherren Bericht zu erstatten. Mehrere von ihnen drängten ihn, zu bleiben und die Arbeiten an den entworfenen Schleusen zu beaufsichtigen, doch er lehnte das unter dem Vorwand ab, dass anderswo dringende und wichtige Aufgaben auf ihn warteten. Mit dem Honorar für seine Entwürfe brauchte er fürs Erste keinen Hunger zu fürchten.
    Salaì hatte in der Zwischenzeit nicht nur faul herumgesessen. Ihm war zu Ohren gekommen, dass in Venedig mit einer ganz neuen Technik für die Vervielfältigung von Zeichnungen experimentiert wurde, und er hatte sich für Leonardo da und dort danach erkundigt.
    »Radierungen, das ist die Zukunft«, erzählte er Leonardo bei dessen Rückkehr begeistert. »Man ätzt die Zeichnung mit einer Säure in eine Kupferplatte. Die Technik ist noch nicht ganz ausgereift, aber es fehlt nicht mehr viel. Und die Ergebnisse sind jetzt schon erstaunlich. Sowohl die Gravuren als auch die Drucke sind wesentlich feiner als beim Holzschnitt.«
    Leonardo überzeugte das nicht. Er hatte schon immer Vorbehalte gegen Vervielfältigungen gehabt, egal welcher Art. »Das gleicht einem Nest voller totgeborener Kinder des Originals«, pflegte er zu sagen. »Nichts geht über die originäre Zeichnung oder das originäre Gemälde, da können sie sich einfallen lassen, was sie wollen.«
    Was ihn freilich nicht daran hinderte, bei diesem Verfahren neue Möglichkeiten für seine technischen Entwürfe zu sehen. So betrat er zwei Tage später mit einer Rolle Zeichnungen unter dem Arm eine der zahlreichen venezianischen Druckereien, um sich das eine und andere vorführen zu lassen.
    »Du hattest recht«, sagte er am gleichen Abend zu Salaì. »Bei allen Vorbehalten gegenüber Duplikaten im Allgemeinen räume ich ein, dass Kupferradierungen Zukunft haben könnten. Wenn wir in Florenz sind, müssen wir uns einmal näher damit befassen. Sind meine Zeichnungen erst auf Kupferplatten geätzt, lassen sie sich gegebenenfalls verbreiten.«
    »Verbreiten?«
    »Kunst und Wissenschaft werden nicht wahrgenommen, wenn sie im Verborgenen bleiben. Und wenn du mein Werk verbrennst oder begräbst, wird es sein, als wäre ich nie auf dieser Erde gewesen.«
    »Aber du sagst doch immer, dass alles vorbei ist, wenn man stirbt! Was hast du denn noch davon, wenn…«
    »Es geht um die Befriedigung, die ich jetzt erfahren möchte, jetzt, heute, lebendig und wohlauf. Und ich möchte den Gedanken hegen können, dass ich vielleicht noch für zukünftige Generationen von Bedeutung bin.«
    »In der Hinsicht warst du doch sonst immer so bescheiden.«
    »Ach, irgendwer hat mir einst eingeschärft, dass man sich für Bescheidenheit nichts kaufen könne. Er hatte recht.«
    »Irgendwer?«
    »Jemand, der schon alt und weise war, als du noch blind und sabbernd an der Mutterbrust lagst. So, ich bin hier fertig, lass uns packen.«

25

    In den ersten Tagen fragte sich Leonardo bedrückt, ob er wohl gut daran getan hatte, nach Florenz zurückzukehren. Die Atmosphäre hier hatte sich in den achtzehn Jahren, seit er nach Mailand gegangen war, komplett verändert. Viele von denen, die er gekannt hatte, waren nicht mehr da. Verrocchio war gestorben. Von Magdalena und ihren Kindern keine Spur. Ihr Töpferladen in der Via de’ Vasai war während der letzten Pest geschlossen worden, und niemand wusste, wohin die Familie gegangen oder ob sie die Seuche überhaupt überlebt hatte. Leonardo war, als hätte man einen Teil seiner Wurzeln herausgerissen und weggeworfen.
    Hinzu kamen die Nachwirkungen der politischen Veränderungen, die das Leben in Florenz weniger angenehm machten. Nach der Abdankung der Medici im Verlauf des ersten Italienfeldzugs der Franzosen hatte der dominikanische Bußprediger Girolamo Savonarola die Herrschaft über die Stadt übernommen und versucht, ihr seine strengen Moralvorstellungen aufzupfropfen. Auf einem gewaltigen Scheiterhaufen auf der Piazza della Signoria hatte er Berge von Gemälden, Zeichnungen, Büchern und Handschriften verbrennen lassen, die für ihn Inbegriff der Eitelkeit und der Verkommenheit des Menschen waren. Aber damit hatte er am Ende den Bogen überspannt und wurde schließlich selbst auf der Piazza della Signoria gehängt und verbrannt.
    Leonardo musste unweigerlich an das gequälte Lächeln Niccolò Machiavellis denken, als dieser von miterlebten

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