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Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Titel: Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Vermeulen
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zusammen die Umgebung der Stadt zu erkunden.«
    Leon Battista Alberti ist ein Mann, dem man nichts abschlägt, Leonardo hörte es Racanato förmlich sagen. Aber der Vorschlag erschien ihm auch verlockend, obwohl er sich verwirrt fragte, was Alberti eigentlich an einem Grünschnabel wie ihm finden konnte, abgesehen von dem für sein Empfinden unwichtigen Umstand, dass er der Sohn eines angesehenen Notars war.
    »Sie erweisen mir damit eine zu große Ehre, Herr Alberti«, erwiderte er.
    »Reiner Eigennutz, junger Mann«, entgegnete der andere mit einem Schmunzeln. »Ich verkehre nun einmal gern in charmanter Gesellschaft.«
    Als Leonardo wieder draußen stand, war es völlig dunkel geworden. Am Himmel zeigten sich keine Sterne, und vom Arno wehte eine kühle Brise herüber. Nach dem Licht der vielen Öllampen und Kerzen drinnen war es, als habe er jetzt eine schwarze Wand vor sich. Fröstelnd wartete er einen Moment, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten und er wieder etwas unterscheiden konnte. Er hätte eine Fackel mitnehmen sollen. Aber damit zog man auch die Aufmerksamkeit der Unholde auf sich, die nächtens durch die Straßen strichen und leichte Opfer suchten, denen sie den Geldbeutel abnehmen konnten.
    Leonardo schlug seinen Kragen hoch und machte sich durch menschenleere Gassen zur bottega auf, wobei er sich nach der Wärme und dem Trubel des Festes ungewohnt einsam fühlte.

5

    Durch anhaltendes Glockenläuten und das hin und wieder aus der Ferne aufklingende Jubeln einer Menschenmenge neugierig gemacht, war Leonardo bei einem seiner Streifzüge durch die Stadt auf die Piazza della Signoria gelockt worden. Dort hatten sich die Florentiner in mehreren Reihen vor den Häusern aufgestellt, um sich ein Spektakel anzuschauen, das auf dem Platz stattfand.
    Ein ziemlich grausames Geschehen, wie Leonardo feststellen musste, als er sich ein Fleckchen erobert hatte und sehen konnte, was sich abspielte. Es war eine sogenannte »Löwenjagd«, wie sie mehrmals im Jahr zu besonderen Anlässen veranstaltet wurde. Zu welchem Anlass diesmal, war Leonardo schleierhaft. Bei so einer Löwenjagd wurden Tiere aus dem Löwengehege hinter der Signoria auf ein altersschwaches Pferd losgelassen. Wieso die Löwen sich dabei nicht auf die Zuschauer stürzten, war Leonardo ein Rätsel. Vielleicht, weil es so viele waren, während das Pferd einsam und verletzlich aussah, so seine Vermutung. Löwen galten ja eher als faul, zumal die männlichen, die das Jagen lieber den Weibchen überließen. Und Löwinnen waren auf dem Platz nicht zu sehen.
    Einer der Löwen bekam das in Todesangst wiehernde Pferd zu fassen und verbiss sich im Nacken des unglücklichen Tiers, das ihn noch bis in die Mitte des Platzes mitschleifte, ehe es heftig blutend zusammenbrach. Jetzt fiel auch der zweite Löwe über das Pferd her und schlug die Zähne in seine Flanke. Mit einem wilden Ruck seines mächtigen Kopfes riss er ein Stück Fleisch heraus, so dass die Gedärme des Tiers dampfend aus dem Leib hervorglitten. Die Zuschauer jubelten, als hätten die Löwen ein Kunststück vollführt.
    Auch Leonardo schaute gebannt zu, doch seine Aufmerksamkeit galt ganz der prachtvollen Haltung der großen Raubkatzen und dem Spiel ihrer gut erkennbaren kräftigen Muskeln. Mochte es auch ein grausames Spektakel sein, die Tiere taten nur das, wofür sie geschaffen waren: Sie schlugen, was schwach und verwundbar war.
    Anschließend wurden die Löwen von einem halben Dutzend Tierbändigern wieder in ihre Käfige getrieben. Trotz ihrer Kraft und Schnelligkeit sträubten sie sich kaum, als hätten sie sich damit abgefunden, dass sie für ihren Unterhalt solcherlei Darbietungen zu liefern hatten.
    Beeindruckt von dem, was er gesehen hatte, kehrte Leonardo zur bottega zurück. Er bedauerte, dass er sein Skizzenbuch ausnahmsweise nicht dabeigehabt hatte, und nahm sich vor, es in Zukunft immer und überallhin mitzunehmen, damit er alles Lohnende sofort darin festhalten konnte. Löwen, Pferde, Hunde, Katzen, Gesichter von Menschen, alten und jungen, hässlichen und schönen, grimmigen und fröhlichen…
    Bei der bottega angelangt, huschte er gleich in sein Zimmer, nahm ein Blatt Papier, das er bei passender Gelegenheit hatte mitgehen lassen, und begann zu zeichnen. Er legte den Kohlestift erst wieder beiseite, als ihm vor Müdigkeit die Augen zuzufallen drohten.
    Akribisch vervollständigte Leonardo ein kleines Tafelbild Verrocchios, das die biblische Szene Tobias und der

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