Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
Engel darstellte. Landschaften und vor allem Tiere wollten dem Meister nicht so recht von der Hand gehen, und da er um seine Unzulänglichkeiten wusste, hatte er Leonardo aufgetragen, den Fisch, den Tobias trug, und das Hündchen, das neben dem Engel hersprang, für ihn zu ergänzen.
Leonardos Fisch mit seinen schillernden Schuppen sah nun so lebendig aus, dass er noch zu zappeln schien, während er das lockige Fell des Hündchens mit solch feinen Pinselstrichen malte, dass man meinen konnte, das Tier sei durchsichtig und schwebe durch die Landschaft wie ein Geist.
»Ich verstehe nicht, wieso Meister Verrocchio dir diese Arbeit anvertraut hat«, sagte Vannucci, der von der Seite her zuschaute. »Was soll denn das für ein Hund sein? Hast du im wirklichen Leben je so ein komisches Vieh gesehen?«
»Nein«, erwiderte Leonardo. »Aber Engel habe ich ehrlich gesagt auch noch nie gesehen. Und dieses Tierchen ist eben besonders leichtfüßig – was man von gewissen anderen nicht behaupten kann.«
»Für einen, der noch gar nicht richtig unterscheiden kann, was auf einem Bild oben und was unten ist, nimmst du den Mund reichlich voll. Dabei hast du vor wenigen Monaten noch Tonfiguren modelliert, zum Teufel!«
Vannuccis Stimme klang ungewöhnlich laut in dem verlassenen Atelier. Die anderen waren fast allesamt gegangen, um sich den Umzug und das Turnier zur Feier der bevorstehenden Hochzeit von Lorenzo de’ Medici mit der Römerin Clarice Orsini anzusehen. Man war in Florenz zwar nicht begeistert über diese Heirat, aber für ein Spektakel waren die Leute immer zu haben.
Leonardo sagte: »Glücklicherweise hat Meister Verrocchio sehr schnell meine außergewöhnlichen Fähigkeiten erkannt.«
»Außergewöhnliche Fähigkeiten? Ja, groß daherreden kannst du. Und damit wirst du dich noch gehörig in die Nesseln setzen!«
Das prophezeit er mir schon seit Jahren, dachte Leonardo. Dem Ratschlag Giovanni Racanatos folgend, hatte er gelernt, Vannucci weitestgehend zu ignorieren. Obwohl der noch griesgrämiger wirkte, seit Leonardo eindeutig zu einem der Lieblingsschüler Verrocchios aufgestiegen war.
»Wir beide sollten besser versuchen, uns zusammenzuraufen.«
»He?« Vannucci zog ein misstrauisches Gesicht. »Wieso denn das?«
»Das ist praktischer, wenn du demnächst an meinen Bildern mitarbeitest.«
Giovanni Racanato hatte die Diskussion gehört und mahnte: »Leonardo!«
Einen Augenblick lang hatte es den Anschein, als wolle Vannucci sich auf Leonardo stürzen, doch er beherrschte sich. »Warte nur…« Er rauschte hinaus, ohne seine Drohung ganz auszusprechen.
Kopfschüttelnd wandte sich Racanato wieder seiner eigenen Arbeit zu. Seit Leonardo mit dem eigentlichen Malen begonnen hatte, nahm sich meist Verrocchio selbst seiner weiteren Ausbildung an. Und die bestand vor allem darin, dass Leonardo Teile der Bilder seines Lehrers malte. Vannucci hatte offensichtlich Probleme damit, dass Leonardo so rasch vorankam. Er selbst war schon bei einem anderen Meister in die Lehre gegangen, bevor er in Verrocchios Werkstatt kam, wo er so etwas wie dessen rechte Hand geworden war.
Nun befürchtete er, wie Racanato verriet, dass Leonardo ihm den Rang ablaufen könnte. Und das umso mehr, seit der große Antonio Pollaiuolo bei einem Besuch der bottega vor zwei Wochen geäußert hatte, dass selbst er sich von der magischen Ausstrahlungskraft, die der junge Leonardo mit Zeichenstift und Pinsel zu erzeugen verstehe, noch einiges abgucken könne. Tja, und dazu noch Leonardos flinke Zunge. Für ihn waren Wortwechsel einfach nur Spielerei, und nicht immer bemerkte er rechtzeitig, dass andere sie mit tödlichem Ernst betrieben.
Leonardo fragte: »Hast du keine Lust, dir das Spektakel anzusehen?«
Racanato zuckte die Achseln. »Ich musste schon zu oft an Umzügen und Turnieren mitarbeiten. Aber lass dich nur nicht abhalten, wenn du neugierig bist.«
Leonardo war neugierig, zumal Verrocchio mit einigen anderen führenden Künstlern maßgeblich an der Ausstattung des Schauspiels mitgewirkt hatte. Sein Paradestück war dabei das prächtige neue Banner für Lorenzo de’ Medici. Ganz aus weißem Taft, mit einer Sonne oben, einem Regenbogen unten und in der Mitte einer Dame in antikem Gewand vor dem Stamm eines Lorbeerbaums. Verrocchio war mächtig stolz darauf, nicht zuletzt, weil der Auftrag wie selbstverständlich an seine Werkstatt gegangen war.
Als Leonardo draußen stand, hörte er entfernt lautes Hufgetrappel durch die Straßen
Weitere Kostenlose Bücher