Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Titel: Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Vermeulen
Vom Netzwerk:
der Stadt hallen. Offenbar war Lorenzo mit seinem Reitertrupp schon auf dem Weg zur Piazza Santa Croce, wo das Turnier stattfinden sollte. Grüppchen junger Leute, die es eilig hatten, zu dem Spektakel zu gelangen, rannten an Leonardo vorüber. Er folgte ihnen.
    Je näher er dem Turnierplatz kam, desto mehr Volk tummelte sich auf den Straßen. Es herrschte eine ausgelassene Stimmung. Die Florentiner liebten es, Feste zu feiern, und das setzten die Medici regelmäßig gezielt für sich ein.
    Leonardo war nur noch einen Bogenschuss von der Piazza Santa Croce entfernt, als er fast umgerannt wurde, weil eine Gruppe junger Leute wie gehetzt von dort weglief. Bei einigen von ihnen war die Kleidung zerrissen, und einer, der hinterhergestolpert kam, hatte eine blutende Kopfwunde. Während Leonardo und ein paar andere der Gruppe noch verunsichert nachschauten, kam eine zweite gerannt, die genauso derangiert aussah.
    »Sie haben angegriffen!«, schrie einer der jungen Leute. »Die del poggio und ihre Kumpane!«
    Jetzt hörte man auch Lärm aus der weiter entfernten Menge aufsteigen. Der Jubel und die Beifallsrufe, die gerade noch vorgeherrscht hatten, machten lauten Schreien und Flüchen Platz.
    Ohne es selbst zu wollen, ging Leonardo weiter, um dann doch stehen zu bleiben, als er das Getümmel aus größerer Nähe sah. Einige von Lorenzos Reitern waren von Aufständischen eingekesselt worden. Verzweifelt rissen sie ihre Pferde an den Zügeln hoch, so dass diese sich aufbäumten und wild mit den Vorderhufen ausschlugen. Es flogen Steine, und das Schreien und Fluchen wurde ohrenbetäubend. Als ein Reiter von seinem Pferd gezerrt wurde, zogen einige der anderen ihr Schwert, was den Tumult auf die Spitze trieb.
    Leonardo erschrak, als jemand ihn beim Arm fasste. Es war Vittore, einer seiner Mitschüler.
    »Hier ist man nicht mehr sicher«, sagte er. »Lass uns lieber machen, dass wir wegkommen.« Er atmete schnell, als sei er gerannt.
    »Aber warum…«
    »Die reichen Stinker haben Aufwiegler hergeschickt. Es wird noch Tote geben!« Vittore zog Leonardo eindringlich am Arm. »Los, komm, bevor sie uns zusammenschlagen!«
    »Aber Verrocchio ist dort und die anderen!«
    »Die sitzen längst sicher auf der Tribüne. Komm jetzt!«
    Leonardo sah ein, dass der andere recht hatte. Er schaute noch ein letztes Mal zum Kampfgetümmel hinüber, dann folgte er Vittore.
    »Daraus wird noch mal ein richtiger Krieg«, sagte Vittore grimmig, während sie sich eilig in den östlichen Teil der Stadt zurückbegaben. »Die del poggio lassen sich nicht gefallen, dass ihre Privilegien angetastet werden. Ich habe sie ›Tod den Medici!‹ schreien hören. Aber ich glaube, Lorenzo hat gar nichts davon mitbekommen, denn er ritt ein ganzes Stück weiter vorn.«
    Leonardo nickte. »Du hattest recht, es ist klüger, sich aus allem rauszuhalten. Gewalt ist immer die schlechteste aller Möglichkeiten.«
    »Wir werden morgen ohnehin reichlich Blut sehen.«
    »Ach ja…«
    Verrocchio hatte für seine besten Schüler einen Besuch in der Werkstatt eines gewissen Rocco Vallerna organisiert. Vallerna war es gelungen, für seinen Anatomie-Unterricht die Leiche eines Hingerichteten zu bekommen, und diese Gelegenheit wollte Verrocchio sich nicht entgehen lassen. Man erhielt nur selten die amtliche Genehmigung, Leichen zu sezieren, nicht einmal fürs Medizinstudium. Und Verrocchio war es sehr wichtig, dass seine Schüler wussten, wie der Körper unter der Haut aussah. Vor allem den Verlauf der Muskeln hatte jeder, der den Namen Zeichner, Bildhauer oder Maler verdiente, seiner Meinung nach genau zu kennen.
    Leonardo sah dem Ganzen zwar nicht gerade mit Freuden entgegen, aber seine Neugierde war um einiges größer als sein Widerwille. Und er hatte schon oft genug beim Schlachten und Zerteilen von Tieren zugesehen. Das Sezieren einer menschlichen Leiche würde wohl nicht viel schlimmer sein.
    Es war schlimmer. Vittore war am nächsten Tag der Erste, der, beide Hände krampfhaft vor den Mund gedrückt, aus dem Raum stürzte. Ihm sollten noch weitere Schüler folgen, zumal als Vallerna das Herz aus der Leiche herausschnitt und das blutige Organ in die flachen Hände nahm, um es allen zu zeigen.
    Leonardo wurde nicht übel, dazu war seine Faszination viel zu groß. Nicht einmal der unangenehme Geruch, der von der aufgeschnittenen Leiche auf dem Tisch ausging, störte ihn sonderlich. Gebannt folgten seine Augen dem Seziermesser, mit dem Vallerna einen Muskel im Hals der

Weitere Kostenlose Bücher