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Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Titel: Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Vermeulen
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Geduld, Latein zu lernen, wenn ich es richtig verstanden habe, oder?«
    »Meine eigene Sprache genügt mir.«
    »Und all die Texte, die du nun nicht lesen kannst?«
    »Ach, die werden ohnehin früher oder später in Italienisch gedruckt.«
    »Ein gedrucktes Buch ist kein richtiges Buch, Leonardo.«
    »Ist die Form der Buchstaben denn wichtiger als der Inhalt? Ist die Farbe wichtiger als die Landschaft, die man mit ihr malt?«
    »Auf den Mund gefallen bist du jedenfalls nicht. Kein Wunder, dass Menschen wie Vannucci mit seinem empfindlichen Ego sich da gelegentlich vor den Kopf gestoßen fühlen.«
    Leonardo schaute auf. »Wo bleibt eigentlich Morano?«
    »Du hast einen neuen Lehrmeister, Leonardo.«
    »Warum?«
    Racanato zog die Schultern hoch. »Morano hat seine Qualitäten, aber Verrocchio hielt es für besser, wenn dich jetzt jemand anleitet, der etwas mehr Erfahrung mitbringt.«
    Ein Gehilfe kam herein. »Entschuldigung«, sagte er, »aber Meister Verrocchio möchte, dass Leonardo kurz in sein Büro kommt.«
    Verrocchio saß an seinem Schreibtisch, auf dem sich ein solches Durcheinander türmte, dass er kaum darüber hinwegblicken konnte. Leon Battista Alberti stand mit den Händen auf dem Rücken neben ihm. Beide schauten Leonardo an, als er den Raum betrat.
    »Zieh dich aus«, kommandierte Verrocchio ohne weitere Einleitung. »Wir wollen einen Blick auf deinen Torso werfen.« Und als Leonardo nicht sofort spurte: »Trödle nicht, Junge, ich habe keine Zeit!«
    Leonardo band sein Hemd auf und zog es über den Kopf. Normalerweise war er nicht prüde, aber wenn man so angestarrt wurde, war das schon etwas anderes. Welche Haltung sollte er bloß einnehmen?
    Alberti fragte: »Hast du hier nicht irgendwo ein Lendentuch?« Er schmunzelte, als amüsiere ihn das Ganze.
    »Für mich genügt es so«, entgegnete Verrocchio. »Und ich muss zugeben, dass du einen Kennerblick hast.« Er bedeutete Leonardo, dass er sein Hemd wieder anziehen könne.
    Alberti sagte: »Ich gebe zu meinem sechzigsten Geburtstag ein Gartenfest, und es wäre sehr schön, wenn ich die Skulptur bis dahin in meinem Besitz hätte.«
    Verrocchio nickte seufzend. »Aber, wie gesagt, nicht höher als vier Fuß.«
    Alberti wandte sich an Leonardo, der dabei war, sein Hemd wieder zuzuschnüren. »Ich hörte gerade, dass du ein Sohn von Ser Piero da Vinci bist?«
    »Ja, Herr.«
    »Und zudem nicht ohne Talent?«
    »Es ist nicht an mir, das zu beurteilen, Herr.«
    »Mag sein, dass Bescheidenheit eine Zierde ist, wie man so schön sagt, aber man sollte es damit auch nicht übertreiben. Anmaßung kleidet vielleicht nicht so gut, bringt aber mehr ein.« Er schien das nicht im Scherz zu sagen. »Du bist hiermit zu meinem Geburtstagsfest eingeladen, ich möchte dich gern einigen interessanten Leuten vorstellen.«
    Leonardo war perplex. »Das… äh… Das ist eine große Ehre.«
    »Und dich erwarte ich natürlich auch«, sagte Alberti zu Verrocchio. »Es sei denn, mein David ist nicht rechtzeitig fertig. In dem Fall solltest du mir besser nicht unter die Augen kommen.« Er ging zur Tür. »Ich wünsche euch viel Inspiration.«
    Mit diesen Worten verließ er den Raum. Kurz darauf hörten sie das Hufeklappern seines Pferdes auf dem Straßenpflaster. Es entfernte sich rasch.
    »Sieh an, sieh an«, sagte Verrocchio in sarkastischem Ton, »da hast du gerade einmal angefangen, Farben anzumischen, und schon beginnt dein gesellschaftlicher Aufstieg.« Er erhob sich und zeigte zur Tür. »Aber ich würde mir an deiner Stelle nicht zu viel darauf einbilden. Leon Battista Alberti hat einfach eine Vorliebe für hübsche Burschen. Andererseits…«, Verrocchio zog die Schultern hoch. »Er verkehrt in den höchsten Kreisen und kann für einen Künstler durchaus etwas bewirken. Das Problem ist nur, dass du noch lange kein Künstler bist !«
    »Vielleicht sollten wir meine Ausbildung dann ein wenig beschleunigen«, schlug Leonardo vor.
    »Ja, ich weiß schon, dass du dir was zutraust. Das bringt manchmal voran, kann aber auch gefährlich sein.«
    »Ich wollte nicht anmaßend sein, Meister.«
    »Ach, mach, dass du wegkommst!«, erwiderte Verrocchio. Aber es klang nicht böse.
    Drei Tage vor Leon Battista Albertis Geburtstag war der David in seinem Palazzo nahe dem Ponte Vecchio abgeliefert worden. Alberti besaß eines der größeren Herrenhäuser der Stadt, allerdings längst nicht mit dem Monumentalbau des noch fast neuen Palazzo Medici in der Via Larga vergleichbar.
    Leonardo

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