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Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Titel: Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Vermeulen
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versuchte nicht daran zu denken, worauf Ginevra womöglich mit ihren Fragen hinauswollte.
    »Du machst mir die schönsten Komplimente. Würdest du dich auch noch weiter vorwagen?«
    »Nein, niemals.«
    Ginevra schien diese resolute Antwort zu überraschen. »Und warum nicht, wenn ich fragen darf?«
    »Aus dem gleichen Grund, aus dem sich Angehörige eines niederen Standes niemals einer Prinzessin nähern würden.«
    »Ich bin aber keine Prinzessin.«
    »Du bist viel mehr als das.«
    Ginevra seufzte. »Jetzt geht das schon wieder los. Ein Zuviel an Bewunderung kann auch langweilig werden, weißt du.«
    »Ich werde versuchen, mich zu zügeln.«
    »Auch wenn dir als Maler meine Haut noch so makellos erscheint, darunter verbirgt sich eine ganz normale Frau, Leonardo. Eine Frau mit gewissen fleischlichen Bedürfnissen. Und du bist ein gutaussehender junger Mann. Ergo?«
    Leonardo kniff kurz die Augen zu, als müsse er ein unangenehmes Bild vertreiben, das sich ihm aufdrängte. »Entschuldige, wenn ich das so sage, Ginevra, aber du bist nicht nur verheiratet, sondern hast auch noch einen Liebhaber. Ich denke nicht daran…«
    »Bernardo Bembo ist nicht mein Liebhaber, sondern mein cavaliere servente . Wir haben eine rein freundschaftliche Beziehung zueinander, an der nichts auszusetzen ist. Mein Mann hat übrigens auch keinerlei Probleme damit.«
    Weil er zu schwach ist, sich den Wünschen und Launen seiner Frau entgegenzustellen, dachte Leonardo, der von Verrocchio das eine und andere über Ginevras doch recht turbulentes Liebesleben erfahren hatte.
    Er schrak auf, als sie beiläufig sagte: »Nebenan steht ein Bett…«
    »Ginevra, ich bitte dich!«, stieß Leonardo entgeistert hervor. »Auch wenn ich dich für die schönste Frau halte, die ich je anschauen durfte, ich würde niemals…« Unglücklich brach er ab. Ihm fehlten die Worte, um auszudrücken, was er empfand. Weil ich nicht weiß , was ich denn nun eigentlich empfinde, musste er sich selbst insgeheim eingestehen. Er empfand Ginevras Anziehungskraft als überwältigend, und doch…
    Es ist ihr Benehmen, dachte er. Aber in den höheren Kreisen ging es wohl nicht immer sittsam zu, wie er hatte erzählen hören.
    »Leonardo…« Ginevra erhob sich und kam auf ihn zu. Sie umfasste sein Gesicht mit beiden Händen und schaute ihm tief in die Augen. »Warum sollte man sich so eine Gelegenheit entgehen lassen?«
    Ihre Berührung löste ein ungewohntes Erschauern in ihm aus, das sich wie eine kleine warme Schlange seinen Rücken hinunter bis in seine Beine fortbewegte.
    Als er nichts erwiderte, fasste Ginevra ihn beim Arm und zog ihn zu der Zwischentür, die in den angrenzenden Raum führte. Leonardo wollte sich widersetzen, brachte es aber nicht fertig. Er kam sich vor wie ein kleines, schwaches Hündchen, das am Halsband mitgezogen wurde. Und was dann kam, geschah wie in einem Traum, über den er keine Kontrolle hatte. Sein Bewusstsein setzte erst wieder ein, als er bereits nackt auf dem Bett lag und Ginevra auf ihm.
    »Du bist so schön wie die Statue von dir«, sagte sie ihm ins Ohr. »Aber du bist so viel wärmer und weicher als Bronze…«
    Unwillkürlich tauchte er das Gesicht zwischen ihre nach Primeln duftenden Brüste und schloss die Augen. Und wieder war da dieses Erschauern, das ihn teilweise lähmte. Die Magie des Augenblicks verflog freilich schockartig, als er spürte, wie Ginevras Hand über seinen Unterleib glitt. Er wollte die Flucht ergreifen, traute sich aber nicht, Ginevra einfach wegzuschieben. Begierde und eine nie da gewesene Angst kämpften miteinander. Ginevras kitzelnde Löckchen, ihr Atem, ihre warmen Hände auf seiner Brust, ihre seidige Haut, die die seine streichelte…
    Doch da erstarrte Ginevra plötzlich und richtete sich horchend auf. »Es ist jemand nebenan!«, zischte sie.
    Mit einer schnellen, geschmeidigen Bewegung glitt sie vom Bett, huschte auf Zehenspitzen zur Tür und legte ihr Ohr daran. Anschließend bückte sie sich und spähte durchs Schlüsselloch.
    Leonardo heftete den Blick auf ihren nackten Rücken. Er hatte eine merkwürdige Empfindung, die ihn womöglich noch stärker verwirrte: Ginevras unwiderstehliche Anziehungskraft hatte sich mit einem Mal in nichts aufgelöst. Als sie sich von der Tür abwandte und wieder ins Bett kam, beschlich ihn sogar so etwas wie Abscheu. Abscheu, gemischt mit Scham.
    »Da ist nichts. Ich habe es mir wohl nur eingebildet«, sagte sie. Dann musterte sie ihn fragend: »Hast du

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