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Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Titel: Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Vermeulen
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unbeholfen auffing und wankend anzuziehen versuchte.
    »Ich musste sie hereinlassen, sie wollten mir nicht sagen, weshalb sie dich so dringend brauchen.«
    Die leicht beunruhigte Stimme Verrocchios. Leonardo hatte ihn in seiner Verwirrung und bei dem unsteten Licht gar nicht erkannt.
    »Beeil dich!«, schnauzte einer. »Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit!«
    Noch nicht ganz angezogen, wurde Leonardo gleich darauf gefesselt zu einem Fuhrwerk gezerrt, auf das man ihn kurzerhand hinaufwarf. Er versuchte sich aufzurichten, doch da der Kutscher sogleich die Peitsche auf die beiden Zugpferde niedergehen ließ und sich der Wagen mit einem Ruck in Bewegung setzte, schlug er wieder um und fiel vornüber auf den schmutzigen, nassen Boden, der stark nach morschem Holz roch. Ein Mann mit Fackel sprang auf den Wagen auf und stellte seinen Stiefel auf ihn, um ihn an jeder weiteren Bewegung zu hindern – oder um selbst bequemer zu sitzen. Das Fuhrwerk holperte die dunkle, verlassene Gasse hinunter, und das laute Klappern von Hufen und Rädern auf den Pflastersteinen hallte zwischen den Fassaden der blinden Häuser wider.
    Die für Leonardo höchst ungemütliche Fahrt dauerte nicht lange.
    »Raus!«, herrschte ihn jemand an, als der Wagen zum Stehen kam.
    Als sich Leonardo mit den gefesselten Händen allzu mühsam aufrappelte, packte man ihn bei den Armen und schleppte ihn mehr, als dass er auf eigenen Beinen lief. Im Licht der Fackeln fing er einen kurzen Blick auf die trutzige Fassade des Gerichtsgebäudes auf. Dann ein langer, breiter Gang, einige schmale Marmortreppen nach unten und schließlich das Dröhnen der hinter ihm zuschlagenden Gittertür. Die Schritte der Männer, die ihn gebracht hatten, entfernten sich, und mit ihnen jegliches Licht.
    Leonardo stolperte um sich tastend in eine Ecke, wo er beim Hereinkommen einen Stuhl und einen kleinen Tisch gesehen hatte. Er fand den Stuhl und setzte sich. Dabei entdeckte er, dass man ihm, ohne dass er etwas davon gemerkt hatte, seine Handfesseln abgenommen hatte.
    Der Raum hatte offenbar kein Fenster, denn es war stockfinster. Aber man hatte ihn wenigstens nicht in einen Kerker des Stadtgefängnisses geworfen, obwohl dieses ja nicht einmal einen Bogenschuss von Verrocchios Werkstatt entfernt war. Durfte er das als ein gutes Zeichen werten? Leonardo wusste es nicht. Aber an einem bestand für ihn kein Zweifel, dass nämlich seine missliche Lage etwas mit den Bezichtigungen dieses Denunzianten zu tun haben musste. Der Vorwurf der Sodomie war ungefähr so schlimm wie der der Gotteslästerung. Das konnte einen den Kopf kosten. Im wahrsten Sinne des Wortes. Wo waren jetzt die, die versprochen hatten, das eine und andere für ihn in Ordnung zu bringen?
    Warum sollten sie auch?, dachte Leonardo grimmig. Wer bin ich denn schon? Nur einer von Hunderten von Bildhauern, Architekten, Zeichnern und Malern, die sich in Florenz tummeln. Aber allem Anschein nach war er schon so bedeutend, dass er die Aufmerksamkeit eines üblen Verleumders auf sich gezogen hatte. Vielleicht war es ja sogar jemand aus seinem eigenen Umfeld, denn der anschuldigende Brief war in dem tamburo am Ende der Via Ghibbelina gefunden worden. Das hatte Verrocchio über seine Beziehungen bei der Signoria in Erfahrung gebracht.
    Leonardo stützte die Ellbogen auf den Tisch, begrub das Gesicht in seinen Händen und presste die Augen zu, als wolle er die Dunkelheit nicht mehr sehen. Jetzt erst merkte er, wie heftig sein Herz immer noch schlug. Er war kein Angsthase, aber dunkle Gestalten, die einen mitten in der Nacht aus dem Bett zerrten und abführten… Und dann die Furcht vor dem, was ihm jetzt bevorstand. Leonardo hatte schon Hinrichtungen gesehen, bei denen das Publikum johlte und grölte. Es hatte ihn geschaudert. Und die Vorstellung, dass sie einem womöglich den Kopf abschlugen, obwohl man gar nichts verbrochen hatte! Das kam durchaus vor, er hatte schon davon gehört. Richter waren nicht unfehlbar, so gern sie sich auch diesen Anschein gaben.
    Leonardo erhob sich und schob sich an der Wand entlang zur Tür. Er fand nichts, was einer Klinke glich. Er rüttelte an den Gitterstäben, aber nichts bewegte sich. Das Schloss hatte keinerlei Spiel.
    Er ließ sich mit dem Rücken an der Wand auf den kalten Boden hinunter, zog die Knie an und schlang die Arme darum.
    Irgendwo im Gebäude lief jemand auf und ab, die Schritte waren gedämpft bis in Leonardos Zelle zu hören.
    »Ist da jemand?«
    Seine Stimme hallte überraschend

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