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Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Titel: Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Vermeulen
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irgendetwas?«
    »Ich weiß nicht…«
    Ginevras Gesichtsausdruck veränderte sich. »Bist du etwa noch nie mit einer Frau zusammen gewesen?«
    Er nickte stumm, froh, dass er damit eine Entschuldigung für sein Verhalten hatte.
    »Oje, ich verführe also wirklich gerade eine Jungfrau?«
    Leonardo war es egal, ob sie sich über ihn lustig machte. »Wir sollten lieber wieder an die Arbeit gehen«, murmelte er. Er stieg aus dem Bett und begann sich linkisch anzuziehen. »Tut mir leid, dass ich dich enttäuscht habe.«
    »Leonardo… Empfindest du überhaupt etwas für Frauen?«
    »Natürlich tue ich das.«
    Ginevra nickte langsam. »So wie ein Kind seine Mutter liebt«, konstatierte sie.
    Unwirsch griff er zu seinem Wams. »Ein anonymer Denunziant hat mich der Sodomie bezichtigt!« Es brach aus ihm heraus wie eine Beschimpfung.
    Sie sah ihn mit großen Augen an. »Zu Recht?«
    »Und ich habe jemanden erschlagen.«
    Ginevra zog sich ebenfalls an. »Dem Klang deiner Stimme nach zu urteilen, scheinst du Letzteres weniger schlimm zu finden.«
    »Ich habe mich nur verteidigt, sie wollten mich berauben.«
    An der Wand neben dem Bett hing ein großer Spiegel. Ginevra stellte sich davor, um ihr Kleid zu schnüren. »Mach dir keine Sorgen«, sagte sie und blickte dabei Leonardo über den Spiegel an. »Das werden wir schon in Ordnung bringen.«
    »Wir?«
    Ginevra lächelte unbestimmt, während sie mit gezierten Bewegungen ihre Löckchen zurechtzupfte. »Wollen wir wirklich noch weiterarbeiten?«
    Leonardo schüttelte den Kopf. »Ich bin gar nicht mehr in der Stimmung dazu, Ginevra. Ich hoffe, du verstehst das nicht falsch.«
    Sie trat zu ihm und legte die Hände auf seine Schultern. Ernst fragte sie: »Muss ich mich entschuldigen für das, was ich dir angetan habe?«
    »Um Himmels willen, nein!«, erwiderte Leonardo hastig.
    »Das klang wenigstens aufrichtig.«
    Er ließ den Kopf hängen. »Ich wünschte, ich…« Er verstummte hilflos.
    Ginevra nickte. »Ich auch«, sagte sie seufzend.

9

    »Mein Name ist Fioravanti di Domenico, ich bin in Künstlerkreisen ein begehrtes Modell«, hatte sich der junge Mann, der großspurig mitten in der Werkstatt stand, ohne falsche Bescheidenheit vorgestellt. Mit seinem runden, von einer Fülle blonder Locken eingerahmten Gesicht, seinem sinnlichen Blick und seinen vollen Lippen hatte er etwas von einem Cherub, aber zugleich strahlte er eine gewisse Arroganz aus. Er wollte Verrocchio, dessen bottega die renommierteste in Florenz war, seine Dienste anbieten.
    »Wir benötigen bis auf weiteres keine männlichen Modelle«, sagte Vannucci, der den Burschen eingelassen hatte. Er bedachte den Knaben mit einem abschätzigen Blick, als störe ihn dessen gutes Aussehen. »Aber wenn du dir gerne etwas dazuverdienen möchtest, kann ich dich vielleicht Meister da Vinci empfehlen.« Er warf einen raschen Blick hinter sich, wie um sich zu überzeugen, dass ihn auch niemand hören könne. Leonardo war nicht da, der arbeitete im Palazzo Medici. Und von den Übrigen schaute nur Marco Morano mit gefurchten Brauen in seine Richtung.
    »Sind Sie Meister Verrocchio, wenn ich fragen darf?«
    »Nein, ich bin Pietro Vannucci, der wichtigste seiner Meister. Meister Verrocchio ist außer Haus.«
    »Vielleicht sollte ich dann besser noch einmal wiederkommen, wenn…«
    »Ich werde deinen Namen und deine Adresse notieren«, unterbrach ihn Vannucci. »Wenn wir jemanden brauchen können, hörst du von uns.« Er nahm einen Fetzen Papier und einen Stift vom Tisch. »Ja?«
    Als der Knabe gegangen war, erkundigte sich Morano argwöhnisch: »Was wollte der komische Vogel von Leonardo?«
    Bevor Vannucci antworten konnte, sagte Giovanni Racanato: »Er würde einen schönen Engel abgeben.« Er hatte ihren Besucher also offenbar doch nicht ganz ignoriert.
    »Mag sein«, entgegnete Vannucci wenig entgegenkommend. »Aber ich bezweifle, dass er vom Himmel gesandt wurde…«
    Mitten in der Nacht aus dem Bett gezerrt zu werden war eine neue Erfahrung für Leonardo. Er brauchte denn auch einige Sekunden, um zu erfassen, dass dies nicht der Nachhall eines Alptraums war, sondern dass er tatsächlich von fremden Händen hochgerissen wurde. Zwei brennende Fackeln, die beißenden Rauch verbreiteten, erhellten sein Zimmer, und er erhaschte einen Blick auf dunkle Kleider und schwarze Hüte.
    »Zieh dich an!«, blaffte eine Männerstimme. »Oder willst du lieber so, wie du bist, ins Gefängnis?« Jemand warf ihm eine Hose an den Kopf, die er

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